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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Gestalt in einem hellen Kleid mit tiefem Miederausschnitt und unbedeckten, zerzausten Haaren. Unter dem Fenster blieb sie stehen, bückte sich, hob etwas auf und wollte eben zum Wurf ausholen, als sie Anna in ihrem weißen Hemd in der Öffnung entdeckte.
    »Oh, hast schon auf mich gewartet?«
    »Bestimmt nicht.«
    »Ach, tu nicht so. Nimm meine und deine Decke, Anna. Knote sie an den Zipfeln zusammen. Ich werde daran hochklettern. Anders komme ich heute Nacht nicht mehr in mein Bett.«
    »Ich könnte dich auch der Äbtissin melden.« »Könntest du natürlich, Anna.«
    Anna nahm die Decke und hielt sie aus dem Fenster. Rosa bekam sie zu fassen.
    »Halt sie gut fest, damit du nicht auf die Gasse purzelst!«, warnte sie. Geschwind schürzte sie ihr Kleid, und mit einer erstaunlichen Gewandtheit kletterte sie die Mauer hoch, während Anna den Gegenzug aufrechterhielt. Über den Sims wand sie sich dann wenig anmutig in den Raum und hätte einem Beobachter draußen einige interessante Einblicke unter ihre Röcke gewährt.
    »Danke. Bist ja doch zu was zu gebrauchen!«, grinste sie dann und nahm die Decken an sich, um sie wieder über die Betten zu legen.
    Anna schnüffelte. Bierdunst, verschütteter Wein, fettiges, stark gewürztes Essen.
    »Du bist in einer Schenke gewesen.«
    »Anna di Nezza, Anna, die Nase! Kluges Kind. Ja, ich bin in einer Schenke gewesen und habe mich prächtig unterhalten. Hätte ich es nicht getan, wäre ich wahrscheinlich dem schreienden Wahnsinn erlegen.”
    »Warum, Rosa?«
    »Mein Gott, heiliger Vitus und Sankt Anna, weil ich hier noch sterbe vor lauter Langeweile. Wie hältst du das nur aus, sag mal? Du bist doch noch keine achtzig!«
    »Ich habe zu tun. Du nicht.«
    Rosa ließ sich schwer auf ihr Bett fallen.
    »Was soll ich schon groß tun in dieser Gruft?«
    »Deine Gaben zur höheren Ehre Gottes nutzen.«
    »Meine Gaben!« Rosa begann hilflos zu kichern. »Der würd’ sich bedanken!« Aber dann wurde sie wieder ernst. »Denk nicht dran. Ich werde schon einen Ausweg finden. Und nun lass uns schlafen, die Nacht ist kurz, und in wenigen Stunden haben wir wieder auf den Knien zu liegen, um Seine Herrlichkeit zu rühmen.«
    Die kurzen Sommernächte brachten es mit sich, dass die Laudes zu sehr früher Stunde gehalten wurde. Unausgeschlafen absolvierten Rosa und Anna die Gebete, doch als sie anschließend ins Refektorium gehen wollten, um das Frühmahl einzunehmen, wurden sie von der Priorin angehalten. Ihre nächtlichen Umtriebe waren beobachtet worden, was eine überaus unangenehme Unterredung bei der Äbtissin zur Folge hatte. Zwei Wochen Buße wurden ihnen auferlegt. Sie durften nicht an den Versammlungen im Refektorium teilnehmen, bekamen nur Fastenkost in ihre Kammer gebracht und mussten täglich zwischen Vesper und Complet die Bußpsalmen auf den Knien vor dem Altar beten.
    Rosa grollte. Anna zuckte mit den Schultern. Sie war lediglich ärgerlich darüber, nicht ihrer eigenen Arbeit im Skriptorium nachgehen zu können, denn in der freienZeit, die sie für ihr Stundenbuch nutzte, musste sie nun Psalmen singen.
    »Die Sonne scheint, die Vögel singen, am Rhein wird getanzt und musiziert. Und wir müssen in dieser stickigen Kammer sitzen und Löcher in die Wand gucken.«
    »Du sollst für dein Seelenheil beten. Sei froh, dass sie dich nicht ausgeschlossen hat. Die Äbtissin hätte es tun können, das weißt du.«
    »Hätte sie nur!«
    »Und dann?«
    »Ach, lass gut sein, Anna.«
    Rosa legte sich auf ihre Bettstatt und zog sich die Decke über den Kopf. Anna rang eine Weile mit sich. Das enge Zusammensein mit Rosa würde anstrengend werden, wenn sie weiter in dieser Stimmung blieb.
    »Also gut, Rosa von Gudenau. Ich bin bereit, dir in den nächsten zwei Wochen das Lesen beizubringen.«
    »Was?«
    »Du kannst es nicht.«
    »Anna, die Nase, hat sich mal wieder in meine Angelegenheiten gemischt!«
    »Sicher. Es ist aber nicht zu übersehen. Also?«
    In den braunen Augen glomm ein Funke auf, und Anna
    fragte sich, ob es Wut war, die darin aufleuchtet. »Anna, bist du sicher, dass ich es lernen kann?«
    Es war nicht Wut, es war Unsicherheit und Begierde. »Ich glaube nicht, dass du übermäßig dumm bist. Fan
    gen wir an.«
    »Und wie?«
    »Dies hier, Rosa, ist ein Wachstäfelchen, und das da ist ein Griffel. Man ritzt die Buchstaben mit der Spitze in das Wachs. Mit der flachen Seite kann man sie wieder auslöschen. Und das, was ich jetzt hier schreibe ist der Buchstabe A.«
    »Ah!«
    »Genau, A

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