Der Beschützer
»Ich gehe lieber zu Fuß.«
Sie wartete keine Antwort ab und setzte den Weg fort. Die zweite Barriere blieb hinter ihr zurück.
Zwar bekam die Strafsiedlung nicht sehr häufig Besuch, aber die Häftlinge schenkten der Frau kaum Beachtung. Ihre bevorstehende Ankunft war sicher nicht angekündigt worden, und deshalb vermutete Janeway: Für die hier untergebrachten Personen bedeutete die Präsenz eines Starfleet-Offiziers, daß sich Probleme anbahnten. Also ging man ihr aus dem Weg.
Nun, um so besser. Derzeit stand ihr ohnehin nicht der Sinn danach, sich mit Leuten zu unterhalten, die ihren eigenen Problemen mehr oder weniger hilflos gegenüberstanden. Ihr ging es darum, einem sturen Freund zu helfen.
Sie fand Paris vor der Werkstatt. Er war der einzige Häftling weit und breit, lag halb unter einer Apparatur, deren Energiespule so groß wie ein Asteroid zu sein schien. Das Hemd hatte er achtlos auf die Konsole der Maschine gelegt, und gelegentlich ertönte das Zischen eines Plasmaschweißers.
Janeway versuchte, die Situation einzuschätzen: Sie sah, mit welchen Werkzeugen Paris arbeiten durfte, schätzte auch die Mobilität des Apparats ein, den er gerade reparierte. Am rechten Fußknöchel trug er einen elektronischen Impulsgeber, der ihn jedoch nicht daran hinderte, die Insel zu verlassen –
damit ließ sich nur sein Aufenthaltsort feststellen. Die Tatsache, daß er noch immer an diesem Ort weilte, mochte darauf hinweisen, wie ernst er es mit der eigenen
Rehabilitation meinte. Oder es war ein Zeichen seiner Intelligenz. Janeway kannte den Mann noch nicht gut genug, um festzustellen, welche der beiden möglichen Erklärungen zutraf.
Sie holte tief Luft, um ihre Gedanken zu ordnen und die Mißbilligung aus dem eigenen Gesicht zu vertreiben. »Tom Paris?« fragte Janeway kühl. Sie sah keinen Grund, besonders freundlich zu sein. Gerade in diesem Fall konnte es nicht schaden, Distanz zu wahren. Immerhin wußte sie, was es mit Paris auf sich hatte.
Das Zischen des Schweißgeräts verstummte abrupt, und einige Sekunden lang herrschte völlige Stille. Dann glitt der Mann unter dem großen Apparat hervor, dank des Rollbretts unter seinem Rücken mit einer fließenden Bewegung. Wie lässig klappte er das Schutzvisier vor den Augen hoch, als handelte es sich dabei um eine besonders modische und teure Sonnenbrille. Schweiß glänzte mitten auf der Brust und auch am flachen Bauch. Die Haut an Hals und Armen wies einen rötlichen Ton auf: Paris war nicht an die Wintersonne von Neuseeland gewöhnt und zu stolz, um eins der Gebäude aufzusuchen, wenn im Freien einem Sonnenbrand drohte. Das deutete auf eine besondere, für junge Männer reservierte Dummheit hin, die aus irgendeinem Grund glaubten, etwas beweisen zu müssen. Es entsprach der Beschreibung, die man ihr vor dem Flug nach Neuseeland gegeben hatte. Hier schien der Sohn ganz anders zu sein als der Vater.
»Kathryn Janeway«, stellte sie sich vor. Sie streckte nicht die Hand aus, und er gab durch nichts zu erkennen, eine solche Geste zu erwarten. »Ich habe mit Ihrem Vater an Bord der Al-Batani zusammengearbeitet. Wir sollten miteinander reden.«
Bei der Erwähnung seines Vaters formten Paris’ Lippen den Hauch eines Lächelns, das tiefer zu reichen schien, als es eigentlich der Fall sein sollte. Janeway fragte sich, was ihm jetzt durch den Kopf ging.
»Worüber?« fragte er und lag noch immer auf dem Rollbrett.
»Über einen Dienst, den Sie uns erweisen könnten.«
Paris lachte, und sein Lachen war so seltsam wie vorher das kurze Schmunzeln. »Ich bin bereits für die Föderation tätig«, sagte er mit gespieltem Ernst und deutete auf die Maschine.
Spott. Janeway erinnerte sich an die Warnung, doch dadurch wurde es nicht leichter. Sie besann sich auf ihre Erfahrungen als Starfleet-Offizier, um ruhig zu sprechen. »Soweit ich weiß, ist das Rehabilitationskomitee sehr zufrieden mit Ihnen. Es hat mir erlaubt, diese Angelegenheit mit Ihnen zu erörtern.«
Paris musterte sie, und in seinen Augen leuchtete mehr Intelligenz, als die Vergangenheit dieses Mannes vermuten ließ. Er zuckte kurz mit den Achseln und erhob sich mit einer Geschmeidigkeit, die deutlich auf seine Ausbildung und das bisher geführte Leben hinwies. Mit ausgebreiteten Armen stand er vor Janeway, und sein sonderbares Lächeln wirkte fast wie ein Schild zwischen ihnen. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung.«
Nur wenn ich mich für Sie entscheide. Janeway bedachte den jungen Mann mit einem
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