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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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weißt nicht, was eine Eitelkeit zweiten Grades ist?«
    »Nein.«
    »Interessant.«
    »Also was ist das?«
    »Na ja, ein eitler Mensch zweiten Grades ist in erster Linie einmal eitel. Er bildet sich etwas auf seine Intelligenz ein und will von anderen Leute gern für intelligent gehalten werden. Er hält sich für attraktiv und möchte auch gern so gesehen werden. Und auch wenn er sich für humorvoll oder talentiert hält, so will er hierfür die Bestätigung. Du weißt, was ein eitler Mensch ist?«
    »Ja.«
    »Dem eitlen Menschen geht es immer darum, vor anderen nicht als dumm, langweilig, hässlich et cetera zu erscheinen.«
    »Verstanden.«
    »Nun, der eitle Mensch zweiten Grades ist zwar auch eitel, legt aber großen Wert darauf, auf keinen Fall für eitel gehalten zu werden. Er hat ungeheure Angst davor, dass andere Leute seine Eitelkeit entdecken könnten. Der Eitle zweiten Grades lernt Witze auswendig, um sie im passenden Moment anzubringen und dadurch als witzig zu erscheinen, aber er würde es nie zugeben. Er würde sogar versuchen, den Eindruck zu erwecken, er selber halte sich für überhaupt nicht witzig.«
    »...«
    »Ein Eitler zweiten Grades wäscht sich beispielsweise in einer öffentlichen Toilette die Hände. Natürlich kann er der Versuchung nicht widerstehen, sich im Spiegel zu bewundern, doch wird er immer so tun, als müsse er lediglich seine Kontaktlinsen einsetzen oder als hätte er etwas ins Auge bekommen, während er sich im Spiegel betrachtet. Die Leute sollen ihn nicht als Narzissten erkennen, sondern als jemanden, der sich mit gänzlich uneitlen Dingen beschäftigt.«
    »Oh.«
    »Die Geschichte, die heute hereinkam, betrifft einen Mann, der zweitgradig eitel ist hinsichtlich seiner äußeren Erscheinung. Also vollkommen besessen von seiner Attraktivität, aber noch mehr besessen davon, diese Tatsache zu verbergen, vor allem vor seiner Freundin. Habe ich erwähnt, dass er mit einer Frau zusammenlebt, die nicht nur rasend gut aussieht, sondern auch wirklich nett ist und es ernst meint?«
    »Nein.«
    »Na, jedenfalls lebt er mit dieser Freundin zusammen, die ihn abgöttisch liebt, genauso wie er sie. Und sie kommen auch ganz gut miteinander klar, obwohl der Mann unter einer ständigen Spannung lebt, die mit der Verheimlichung seiner Obsession zu tun hat.«
    »Irre.«
    »Wohl wahr. Eines Tages, in der Badewanne, entdeckt der Mann an seinem Bein einen entzündeten grauen Fleck. Er geht damit zum Arzt und erfährt, dass es sich dabei um die Frühform einer zwar nicht tödlichen, aber entstellenden Krankheit handelt, die diesen äußerlich attraktiven Mann über kurz oder lang völlig verunstalten wird.«
    »...«
    »Es sei denn, er unterzieht sich einer ebenso komplizierten wie teuren Behandlung, die zurzeit nur in der Schweiz durchgeführt werden kann und die ihn vermutlich seine gesamten Ersparnisse kosten dürfte, Ersparnisse, die auf einem gemeinsamen Konto liegen und an die er nur mit Einwilligung seiner netten Freundin kommt.«
    »Wow.«
    »...«
    »Aber wenn er doch so eitel ist, wird ihn die Aussicht einer dauerhaften Entstellung wohl zum Umdenken zwingen.«
    »Eben nicht. Du vergisst, dass er zugleich eine irre Angst davor hat, als jemand zu erscheinen, der Angst vor einer Entstellung hat. Der Gedanke ist ihm unerträglich, seine Freundin könnte herausfinden, dass er seine gesamten Ersparnisse aufwendet und in die Schweiz fliegt, allein um seine Attraktivität zu retten.«
    »Was ist das eigentlich für eine Krankheit? Lepra?«
    »Sie ähnelt der Lepra, glaube ich. Vielleicht nicht ganz so schlimm. Lepra kann tödlich verlaufen. Egal, darum geht es nicht. Der Punkt ist vielmehr der, dass er aus Angst, seine Freundin könne jetzt seine verkappte Eitelkeit durchschauen, die Entscheidung für eine Behandlung in der Schweiz immer wieder verschiebt, sodass sich der ehemals kleine graue Fleck auf sein ganzes Bein ausdehnt und die Haut in großen Schuppen abblättert. Zugleich entzünden sich seine Gelenke, die Folge sind Verwachsungen an der ganzen Extremität, was er durch eine Gipsschiene aus einem Scherzartikelladen zu kaschieren sucht. Seiner Freundin erzählt er, er habe sich – wobei auch immer – das Bein angebrochen, doch haben sich die grauen Stellen inzwischen nicht nur auf das andere Bein, sondern auch auf Bauch und Rücken ausgebreitet, ja sogar, wie wir annehmen müssen, auf seine Genitalien. Er verkriecht sich ins Bett, zieht die Decke über den Kopf und erzählt seiner

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