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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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wenn du willst, kannst du gleich aufs Klo flitzen.«
    »...«
    »Rick?«
    »Nein, nicht nötig. Jetzt, da der große Moment da ist.«
    »Was soll denn das schon wieder heißen? Im Auto hast du von nichts anderem geredet.«
    »Hast du unsere Koffer?«
    »Du weiß genau, sie sind im Kofferraum.«
    »Nein, der Sinn meiner Frage war, ob du mein Gepäck mitnehmen und darauf aufpassen könntest, befindet sich doch darin meine Unterwäsche und meine Zahnbürste und mein Old Spice und alles andere.«
    »Klar könnte ich, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum.«
    »Meister, die Uhr läuft noch.«
    »Mit deiner Erlaubnis würde ich dich jetzt gern ein Weilchen allein lassen. Ich merke, dass ich von Gefühlen und Emotionen überschwemmt werde, denen man sich besser alleine stellt.«
    »Oh. Na gut.«
    »Bis später dann.«
    »Wir können uns dann später wieder treffen. Vielleicht um fünf zum Einchecken im Hotel? Danach könnten wir etwas essen gehen.«
    »Gut. Bis dann.«
    »Es handelt sich um Zimmer 101.«
    »Gut. Bis dann.«
    »Okay. Auf Wiedersehen. Und, Fahrer, besten Dank noch einmal für alles.«
    »...«
    »Könnten Sie mir mit dem Gepäck helfen?«
    »Machen wir doch glatt, Lady. Was ist denn mit ihm los?«
    »Nichts. Er reagiert nur manchmal etwas seltsam, wenn er aufs Klo muss.«
│f│
6. September
    Beängstigend die Wucht des Wunschs, sofort nachzusehen, ob die Initialen noch da sind, die ich einst in die Kabinenwand der Herrentoilette ritzte, unerwartet und überwältigend die Gefühle, die mich in Lenores Gegenwart vor Haus Stone überkamen. Also reihte ich mich ein in die Studenten, die über einen Serpentinenweg den unsanften Hügel zum Arts and Science Building erklommen, sich dabei so schwerfällig bewegten wie Seehunde an Land und vermutlich alle zu spät im Seminar erschienen, ähnlich wie ich zu meiner Verabredung mit dem kleinen Ozean meiner Vergangenheit, der sich zwischen den bekrakelten Docks meiner Kindheit erstreckte und einmal mehr den (hoffentlich ungeteilten) Strahl meines Daseins aufnehmen würde, auf dass bewiesen sei, dass es diesen einen speziellen Seehund erstens gibt und zweitens gab, vorausgesetzt natürlich, es gab die Toilette, es gab die Kabine noch. Als ich mich also unter die Seehunde mischte, Seehunde mit kurzen Hosen und weiten, kurzärmligen Hemden und Bootsschuhen und Rucksäcken, überkam mich eine Furcht, die gewissermaßen Begleiterscheinung und Folge meiner überwältigenden Gefühle und Sehnsüchte war, die mit dieser dummen Toilette in einem dummen Gebäude eines dummen Colleges zusammenhingen, wo ein dummer Junge vor zwanzig Jahren einmal vier Jahre zugebracht hatte. Und während ich all dies spürte, wurde mir klar und wird mir auch jetzt immer klarer, jetzt, da ich aufrecht und schreibend im Bett unseres Motelzimmers sitze, mit leise laufendem Fernseher im Hintergrund und dem leise neben mir schnarchenden Objekt meiner Verehrung und absoluten Lebensmittelpunkt, da wurde mir klar, dass als unbestreitbare Wahrheit festgestellt werden muss, dass das Amherst College in den Sechzigerjahren meine emotionale Mitte verschlungen, psychische Krater hinterlassen und den Pendelschlag meiner Gefühle mit dem Hammer der Maßlosigkeit behauen hat.
    Das bedeutet, wie mir aus heutiger Sicht nur allzu deutlich ist, dass eigentlich kein Aspekt meines College-Daseins, aber wirklich kein einziger, wirklich in Ordnung war. Nichts war okay. Ich kam nicht klar. Zu keinem Zeitpunkt. Ich war entweder furchtbar verzagt. Oder, wenn nicht verzagt, furchtbar zornig. Und immer stand ich unter Spannung. Und wenn ich einmal nicht unter Spannung stand, dann befiel mich eine eigenartige Hochstimmung, in der ich wie auf Wolken ging, dass man meinen konnte, mir sei tatsächlich alles scheißegal. Entweder war ich so grund- und ziellos glücklich, dass ich die Welt beinahe zu klein wähnte, oder so abgrundtief traurig und deprimiert, dass ich es an keinem Platz der Erde aushielt. Ich habe Amherst gehasst. Und war doch nirgends glücklicher. Und diese beiden Seiten desselben Orts setzen mich nun den Klauen und Schnäbeln der Wahrheit aus.
    Einer der Bäume, unter denen ich mich, den Hut in der Hand, ausruhte, während sich links und rechts die Studenten zum Schrillen der Schulglocke auf die einzelnen Gebäude verteilten, einer dieser Bäume hatte bereits Feuer gefangen und zeigte in der Mittagssonne diesen rötlichverwaschenen Umriss der Krone, woran man sah, dass sein Lebensblut die herzferne Peripherie

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