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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Mädchen-College, auf das schon Lenores Schwester und Großmutter – Mutter, glaube ich, auch – gegangen waren. Besagte Fete besuchte unter anderem eine Holyoke-Studentin namens Janet Dibdin, ein zartes, stilles, wohl geformtes Mädchen mit glatten roten Haaren und blauen Augen, in denen helle Brillantsplitter glitzerten. Nein, im Ernst. Ein Mädchen, in das ich insgeheim und ungeheuer verschossen war. Ein Mädchen, das ich auf einer anderen Fete in der schier endlosen Feten-Saison, einer Fete auf Mount Holyoke, kennen gelernt hatte. Auf dieser Fete jedenfalls war ich ihr zum ersten Mal begegnet und hatte sogar die Tanztortur mit ihr überstanden. Von da an. Von da an war ich in ihrer Gegenwart linkisch, schweißnass und beinahe stumm und kam mir vergleichsweise viel zu groß vor. Eine der drei Frauen in meinem Leben, von denen ich mich sexuell unwiderstehlich angezogen fühlte – neben Lenore Beadsman und der Tochter meines Nachbarn Rex Metalman in Scarsdale, einem jungen Ding mit unverkennbar erotischer Ausstrahlung, das im Alter von dreizehn Jahren hüftschwingend in mein Herz schlenderte, nachdem ich sie einmal beim vorgeblich arglosen Spiel mit Rex Metalmans Rasensprenger beobachtet hatte.
    Jedenfalls, da standen wir dann in Gruppen zusammen, in unseren blauen und grauen Anzügen, mit zu viel Haarcreme im zurückgekämmten Haar und hektisch glänzenden Nasen. Und da waren sie , in einer süßen Wolke aus Wolle, aufwändigen Frisuren, Kaschmir, Augen, leichter Baumwolle, nackten Waden und Perlen, und in ihrer Mitte sie , gleich neben dem kalten Buffet. Sie trug einen Rock und einen Pulli mit Monogramm und unterhielt sich mit ihren Freundinnen, und irgendwie war keine von ihnen bisher aufgefordert worden, obwohl es schon auf zwölf Uhr zuging und auch wir nach wie vor in unseren Anzügen herumstanden, jedoch schon unsere Spucke sammelten für die entscheidende Attacke. Und so näherten wir uns auf dem Parkett, rückten mit geologischer Geschwindigkeit auf sie zu, unvorstellbar, unmerklich langsam, wobei das große Kaminfeuer sinnigerweise in unseren Augen flackerte. Mit dem Ergebnis, dass ich irgendwann tatsächlich vor ihr stand und redete: Na so was, was macht ihr denn hier? Die Betonung des Zufalls war wichtig, damit nicht gleich alles auseinander stob, denn zwei ihrer Turmfrisur-Freundinnen waren schon zurückgewichen, aus Furcht vor dem gefährlich knisternden Netz sexueller Spannung zwischen Janet und mir, wobei sie uns und vor allem mich weiter beobachteten und auf den kleinsten Fehler warteten. Und im Hintergrund liefen die Beatles mit »Eight Days a Week«, und meine Hand suchte Nahrung für sie auf dem kalten Buffet, eine Kleinigkeit, die ich ihr anbieten konnte. Aber Kleinigkeit war ein Witz, war ein mehr als fingerdickes Salamistück auf einem Ritz-Cracker, den sie zwar ablehnte, mir aber mit den Augen zu verstehen gab, dass es okay und sie nicht abgeneigt sei, das entnervende Spiel weiterzuspielen, worauf ich den Cracker samt Beilage in meinem Mund verschwinden ließ, wo sich der Cracker in einer regelrechten Staubexplosion zerlegte und nur die Fleischfasern übrig ließ. Und Janet sagte etwas über die bevorstehenden Wahlen, und in meinen Eingeweiden begann die unvermeidliche, unaussprechliche Aufforderung zum Tanz ihre figurative Lachswanderung zu den Laichplätzen im Hirn, und während die Hand in der Hosentasche allmählich die Wolle durchfeuchtete, wurde mir klar, dass ich jetzt etwas Witziges sagen musste, wenn auch nur, um die elende Aufforderung noch etwas hinauszuzögern. Mein Herz hämmerte, meine Kehle schnürte sich zusammen, doch ich, in einem schier übermenschlichen Kraftakt, bäumte mich dagegen auf, um ihr endlich das Witzige zu sagen, ihr, die mich so unverdient treuherzig ansah, und bekam schließlich sogar den Mund auf. Doch als ich endlich den Mund aufbekam, flog als Erstes etwas Riesiges, Zerkautes, von Spucke durchsetztes Salamikräckermatschiges heraus und das mit einer Gewalt, die jedes fühlende Herz erschüttern muss.
    Es flog also heraus und landete auf einem Nasenflügel von Janet Dibdin und. Blieb da. Kleben! Und das Gespräch der Freundinnen erstarb noch im selben Moment, und der Rest vom kalten Buffet in meinem Mund wurde zu Eis und fror für alle Zeit an meinem Gaumen fest, und die Beatles sangen: »Guess you know it’s true«, und auch in Janet kam jegliches Leben zum Erliegen, buchstäblich hingemordet von Grauen und Horror, was sie kraft eines Mitleids nicht

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