Der Besen im System
sehe Blondschöpfe, markante Kinnpartien, Cowboygang, Bizeps, auf denen sich die Venen abzeichnen. Ich sehe lässige, legere oder auch froh gestimmte Gesichter, Gesichter im Einklang mit sich selbst, jetzt und immerdar und im Frieden mit einer Bestimmung, die sich so wenig von der ihrer Väter unterscheidet, dass man ihre Gesichter eigentlich schon jetzt auf die entsprechenden Pappfiguren kleben könnte, etwa die von Firmenchefs im eichenvertäfelten Vorstandszimmer, von wohlbestallten Professoren mit Wollkrawatte und Lederflicken am Ellenbogen, von Ärzten mit goldenen, stoßfesten Uhren auf Golf-Greens, die Alarmpieper am Gürtel tragen, von Soldaten in schwarzen Uniformen, die alles Schwache zuverlässig mit dem Bajonett erledigen. Ich sehe Gesichter des Jahres, Gesichter, die ich von früher her kenne. Gesichter, deren Besitzer dereinst zu den Topleuten zählen werden.
Ich sehe die Gesichter derer, die dazugehören, und die jener anderen, die nicht dazugehören. Die Dazugehörer erscheinen immer in einer Vielzahl, wie Münzen an einer Münzkette. Die Münzen bewegen sich auf und nieder, denn Dazugehörer haben den entsprechenden Gang. Die Gesichter, die dazugehören, sind von stupender Komplexität, ihre Mienen erschaffen und aufrechterhalten von den anderen in ihrer Kohorte, wie genau das vonstatten geht, weiß niemand. Noch verträgt sich in diesen Gesichtern das Eigene mit dem Fremden, zerrt nicht daran. Auf der anderen Seite diejenigen, die nicht dazugehören. Die Gesichter derjenigen, die nicht dazugehören, sind wandlungsfähige Gesichter mit düsterem Blick wie das meines Sohnes Vance Vigorous. Viele von denen, die nicht dazugehören, gehen gesenkten Kopfes, aus Angst, über eine Wurzel zu stolpern oder zumindest dabei gesehen zu werden. Das sind die, die nicht schlafen oder schlecht schlafen oder allein schlafen und schnell an etwas anderes denken, wenn sie diese Geräusche aus dem Nebenzimmer hören. Ich habe irgendwie das Gefühl, die Frisbee-Spieler, die ich weiter beobachte, gehören nicht dazu. Die Frisbee-Scheibe zieht schwache Linien zwischen ihnen, Fäden, die sich im Wind, der von Memorial Hill und dem Sportplatz kommt, dehnen und reißen wie Spinnweben. Denen, die nicht dazugehören, gehören die schwachen Gesichter, die aber in Wahrheit die starken sind, weil sie sich nur über sich selbst definieren oder über ihre Nichtzugehörigkeit an einem Ort, der durch Zugehörigkeit definiert wird. Gesichter, geschützt von und eingepfercht in ihrer stacheldrahtbewehrten Eigenart, Gesichter, die wissen, dass nur die Gnade eines Gottes, der seine Gnaden höchst willkürlich verteilt, verhindern kann, dass irgendwelche Scherzbolde sie gefesselt und geknebelt in die Besenkammer sperren. Solche Gesichter sind auf die Distanz nicht mehr zu erreichen, sie schauen durch dich hindurch und sind, gegen ihren Willen und deinen, im nächsten Moment mit dir fertig.
Wer weiß, wie lange ich sie so angesehen habe. In meinen Hosenumschlägen sammeln sich Blätterreste und frisch geschnittene Grashalme. Eltern mit Namensschildchen gehen an mir vorbei. Ältere Männer haben an Bäuchen zu schleppen, die sie wie eine unbequeme Last in karierte Sakkos gezwängt haben. Die älteren Frauen kenne ich schon von den Gesichtern ihrer Töchter. Seehunde am Berg, bunte Scheiben in der Luft. Verliebte, auf dem Bauch in der Sonne liegend, die Beine nachlässig angewinkelt, die Füße gekreuzt gegen ein zufällig herabfallendes Blatt. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen. Die Umlaufbahn des Rasenrunds verschluckt alle Verletzungsspuren durch Wohnheim Nord.
Warum auch all der Hass? Warum verabscheuen wir, nachdem einmal das Schlimmste, das Allerunverzeihlichste passiert ist, nein, besser: nachdem wir selbst das Unverzeihliche begangen haben, warum hassen wir dann den Ort, an dem es passiert ist, oder die Beteiligten, warum zieht sich allein bei dem Gedanken daran unser Magen zusammen und lärmt es in unserem Kopf – nur damit die volle Wahrheit nicht an uns herandringt? Warum hassen wir uns nicht vielmehr selber, unser Spiegelbild, vor dem wir uns mit Grausen abwenden. Hat Jay vielleicht eine Erklärung dafür? Was für eine unangemessene Frage. Wie weit ich schon gekommen bin.
Am Abend des 2. auf den 3. März 1968 veranstaltete das Wohnheim Nord, in dem auch ich damals untergebracht war, eine Fete für alle Erstsemester von Amherst und der etwa zehn Meilen entfernt gelegenen Partnerinstitution Mount Holyoke, dem
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