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Der bessere Mensch

Der bessere Mensch

Titel: Der bessere Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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beobachten. Nicht dass er ihn kontrollierte; er bewunderte vielmehr seine Fähigkeit, in eine Unmenge an Daten eine Ordnung zu bringen, in der sich jeder von Anfang an zurechtfand. Und siehe, es war gut. Ach, Bergmann, was täte ich ohne Sie!
    „Haben Sie schon einmal Honigeis gegessen?“
    „Nein … klingt aber gut … muss man wahrscheinlich mit einer fruchtigen Sorte mischen, die dem Honig die schwere Süße nimmt …“
    Schäfer rieb sich am Nasenflügel und fragte sich, ob das wirklich Bergmann war, der das gesagt hatte.
    „Können Sie ja gleich versuchen … ich habe ein Kilo in der Styroporbox hier … Honig, Topfen, Marille, Schokolade und Oberskirsch … ich hole ein paar Schüsseln und Löffel und Sie rufen inzwischen die Meute zusammen.“
    Strasser und Leitner waren unterwegs; also saßen sie zu viert im Besprechungszimmer und löffelten das Eis weg, bevor es völlig zerschmolz. Schäfer aß die beiden Portionen, die den zwei abwesenden Kollegen zugedacht waren.
    „Honig“, meinte er später, als er mehr als satt in seinem Sessel hing, „woran denken Sie dabei?“
    „Wenn ich jetzt Bienen sage, ist das zu banal?“
    „Nein … was noch …?“
    „Blumen, Nektar, Pollen, Stachel, Imker, Honigbrot … warum eigentlich?“
    „Als ich auf dem Weg hierher mein Eis gegessen habe …“
    „Sie haben vorher schon eins gegessen?“
    „Na ja … ein kleines, eine Tüte … auf jeden Fall schlecke ich an diesem Honigeis und denke so über Honig nach – so wie Sie eben – und plötzlich macht es … also es pocht irgendwie in meinem Kopf, ganz leise, als ob jemand vorsichtig an eine Tür klopfte …“
    „Sind Sie zum Arzt gegangen?“
    „Wieso zum Arzt, nein, das war eher metaphorisch gemeint … irgendwo im unterbewussten Raum bildet sich ein Gedanke und möchte in das Zimmer, wo ich ihn wahrnehme … aber ich weiß nicht, wie ich ihm die Tür öffnen soll … verstehen Sie: tock, tock …“
    „Und es hat etwas mit Honig zu tun?“
    „Ja … oder mit Bienen, Blüten, Wiesen …“
    „Vielleicht sollten Sie noch eins essen …“
    „Noch ein Honigeis? Mir ist jetzt schon ziemlich schlecht.“
    Sie verließen das Kommissariat gemeinsam kurz nach sechs, Bergmann ging in die Tiefgarage, Schäfer zur U-Bahn. Er überlegte sich, die Einkäufe fürs Wochenende gleich zu erledigen. Doch als er am Supermarkt vorbeikam und durch die Glasfassade die Schlangen an den Kassen sah, verschob er es auf den nächsten Tag.
    Zwei Stunden später saß Schäfer auf dem Balkon seines Nachbarn und ließ sich den Nacken massieren. Was für eine Wohltat – auch der leichte Schmerz, den Wedekinds Daumen verursachten, wenn sie sich langsam, aber kraftvoll in die verhärtete Muskulatur drückten. Bienen, Wiese, Feld summte Schäfer in sich hinein, als sich die Tür in seinem Kopf mit einem Mal auftat – dahinter war allerdings nur eine kleine dunkle Abstellkammer ohne weiterführende Tür, an der Wand ein Pappschild, auf dem der Name Bienenfeld stand. Und Schäfer wusste, wo er diesen Namen aufgeschnappt hatte: der Doktor, dessen Beerdigung sein Bruder in der Vorwoche besucht hatte. Erstaunlich: Seine Geschmacksknospen gaben ein Signal für Honig an sein Gehirn, das sich mit einem anderen Bereich kurzschließt und den Namen Bienenfeld aufblinken lässt. Waren es die Medikamente, die seine Zahnräder da oben zu hochtourig laufen ließen, worauf die sich überfordert verschoben? Würde er jetzt irgendwann eine Erektion bekommen, wenn er eine Amsel pfeifen hörte? Vielleicht hatte sich ja auch im Gehirn des Mörders etwas grundlegend verschoben. Abgesehen von der Tat an sich. Aber das gehörte für Schäfer ja schon zur Normalität.

8.
    Um acht stand er auf, zog sich an und ging in den Supermarkt. Als er die zwei vollen Papiertaschen mit den Einkäufen vor der Wohnungstür abstellte, um seinen Schlüssel aus der Hosentasche zu holen, war sein T-Shirt durchgeschwitzt. Es muss an die sechzig Grad haben, dachte er, betrat die Wohnung und duschte kalt, bevor er sich das Frühstück richtete. Am Balkon versteckte er sich hinter dem Sonnenschirm, aß ein Joghurt mit frischem Obst und rief dann Isabelle an, obwohl er wusste, dass sie am Wochenende kaum einmal vor zehn aufstand.
    Wie erwartet, klang sie verschlafen, ja, er habe sie geweckt, und Schäfer konnte sich nicht gegen ein leichtes Misstrauen wehren, das sich in ihm ausbreitete. Mit wem sie wohl den Abend zuvor verbracht hatte; ohne Grund wurde er eifersüchtig, und

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