Der bessere Mensch
Jahren wieder einmal überredet hatte, in einen Klettergarten in der Nähe von Salzburg mitzugehen. Schäfer war vor der übermächtigen Felswand gestanden, ohne Ahnung, wo er dort eine Hand oder einen Fuß hinsetzen konnte. Leck mich, hatte er trotzig gemeint, den Klettergurt abgelegt und war spazieren gegangen.
Sah er sich eben noch einmal die Akte des LKW -Fahrers an. Manfred Schöps, geboren am 11.10.1962 in Amstetten, wohnhaft in Wien seit 1992, ledig, keine Kinder. Wohl ein einsamer King of the road, mutmaßte Schäfer und ging zu den Tatortbildern über. Der LKW stand am äußeren Rand des Parkplatzes, daneben ein verdreckter Rasenstreifen und ein paar zerzauste Büsche, die sich vermutlich ein anderes Schicksal gewünscht hatten, als zwischen Fernfahrer-Parkplatz und Schnellstraße eingezwängt zu sein. Der Täter musste in der Schlafkoje hinter dem Fahrersitz gelauert haben. Schöps hatte den Zündschlüssel schon eingeführt, als ihn die Kugel ins Genick getroffen hatte. Keine Schmauchspuren; der Schuss war aus einem halben Meter Entfernung abgegeben worden; nicht aufgesetzt, wie es ein Profi getan hätte. Schäfer versuchte, sich den Tatablauf vorzustellen: Schöps hat in der Raststation zu Abend gegessen. Er steigt in sein Fahrzeug, das er laut Zeugenaussagen kaum einmal absperrte. Wenn die Kiste wer stehlen will, steht ihm das Schloss sicher nicht im Weg, hatte Schöps die Vorwürfe seiner Kollegen wiederholt entkräftet. Außerdem: Wo willst du einen 32-Tonner so schnell verstecken? Er steckt den Zündschlüssel ein, bumm. Zwischen Rückenlehne und Hinterwand der Schlafkoje war nur gut ein Meter Platz, sah Schäfer beim Betrachten der Innenaufnahmen des Fahrzeugs. Das heißt, dass der Schütze sich aufgerichtet, an die Rückwand gedrückt und anschließend geschossen hat. Warum? Warum setzt er den Lauf nicht auf? Schäfer lehnte sich zurück und schloss die Augen. Hier war niemand am Werk gewesen, der Schöps kaltblütig aus dem Weg geräumt hatte, weil der eine Gefahr darstellte; viel eher ein Amateur, der seinem Opfer nicht näher als nötig kommen wollte; der beim Schießen vielleicht sogar die Augen geschlossen und eher zufällig schon beim ersten Mal tödlich getroffen hatte. Warum sah Schäfer jetzt das Bild einer Frau vor sich? Er griff zum Telefon und rief Kovacs an, die zwei Minuten später an seinem Schreibtisch saß.
„Erstens: Überprüfen Sie noch einmal alle privaten Kontakte von Schöps, vor allem die weiblichen … bohren Sie nach, ob es irgendwo eine heimliche Liebschaft gegeben hat … und dann nehmen Sie sich alle anderen Fahrer der Firma vor, die mit einem gleich oder ähnlich aussehenden LKW unterwegs waren …“
„Gut … sagen Sie mir auch, warum?“
„Ja … beim nächsten Mal.“
„Irgendwann geht sie Ihnen an die Gurgel“, meinte Bergmann, nachdem Kovacs den Raum verlassen hatte.
„Wieso?“, fragte Schäfer überrascht.
„Na, weil Sie sie ins Feld ziehen lassen, ohne sie aufzuklären, wieso und wohin …“
„Ah … die jungen Hunde … die sollen zuerst schnüffeln und apportieren lernen und dann erst auf eine bestimmte Beute abgerichtet werden … aus Ihnen ist ja auch was geworden, oder?“
„Was woanders ohne Sie aus mir geworden wäre, kann ich ja schlecht überprüfen …“
„Fangen Sie ja nicht an, in Paralleluniversen zu denken, Bergmann … das macht nur wehmütig und verführt zum Alkoholmissbrauch … auf jetzt, wir gehen …“
„Wohin?“
„Raus ins Freie … wir haben was zu besprechen …“
„Haben Sie Angst, dass wir hier abgehört werden?“
„Reden Sie mir keine Paranoia ein … es ist Sommer, da lässt es sich draußen besser denken.“
Sie suchten sich eine abgelegene Bank im Rosenpark des Volksgartens. Schäfer öffnete die Flasche Apfelsaft, die er zuvor am Automaten gezogen hatte, und trank die Hälfte in einem Zug.
„Wir denken zu engstirnig.“
„Aha … und was sollen wir anders machen?“
„Die Beziehung zwischen Opfer und Täter in den Mittelpunkt stellen … nicht die üblichen Indizienketten, Verdachtsmomente, blablabla … da wird man ja meschugge … ich komme mir immer mehr vor wie ein menschliches Google …“
„Na ja, das ist unsere Arbeit … und so schlecht ist unsere Aufklärungsquote nicht …“
„Das meine ich ja gar nicht … wenn ein Mann seine Frau zerstückelt und versenkt oder jemand bei einem Raubüberfall erschossen wird, kommen wir um diese Methoden nicht herum, da haben Sie völlig
Weitere Kostenlose Bücher