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Der bessere Mensch

Der bessere Mensch

Titel: Der bessere Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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obgleich er sich bemühte, nichts davon auf seine Stimme abfärben zu lassen, fragte sie ihn, ob etwas nicht in Ordnung sei. Ach, schlecht geschlafen habe er, irgendwas habe sich in seinen Kopf gesetzt, ein Neurologe, der vorige Woche in Salzburg verstorben sei; sie lachte hell auf, ein Neurologe hatte sich also in seinem Gehirn festgesetzt; na, das wäre doch nicht schlecht, den Reparaturservice immer dabeizuhaben, das wünsche sie sich für ihr Auto, den alten Corsa, der alle zwei Wochen einmal in die Werkstatt musste; warum sie ihn behielt, konnte sie nicht erklären; am Geld konnte es nicht liegen, als Staatsanwältin am Internationalen Gerichtshof würde sie doch mehr als genug verdienen, meinte er, und wiederum fragte sie ihn, was sie ihm denn getan habe, das so einen spitzen Ton rechtfertige.
    Nachdem er aufgelegt hatte, fühlte er sich versucht, gleich noch einmal anzurufen; er wollte ihr erklären, warum er sich so verhielt, was ihn so missmutig stimmte. Dass es genau das Gegenteil von zu wenig Liebe war. Stattdessen beeilte er sich, mit dem Frühstück fertig zu werden, um beim Fahrradfahren nicht in die Mittagshitze zu kommen.
    Er packte seinen Rucksack mit einem T-Shirt, seinen Badesachen, zwei Müsliriegeln und einer Flasche Apfelsaft, den er zuvor zur Hälfte mit Wasser verdünnte. Als er schon im Stiegenhaus war, kehrte er noch einmal um, weil er seine Sonnenbrille vergessen hatte. Dann holte er sein Fahrrad aus dem Keller und machte sich auf den Weg. Er fuhr über den Exelberg nach Scheiblingstein, wo er sich in der Nähe eines Parkplatzes auf eine Bank setzte und die Trinkflasche aus dem Rucksack holte. Ganz in der Nähe war im Jahr zuvor ein junger Mann mit seinem Wagen von der Straße gedrängt worden und tödlich verunglückt. Kurz davor war seine Frau in ihrer Badewanne tot aufgefunden worden – und Schäfer, der nicht an einen Unfall glauben wollte, war überzeugt gewesen, dass sich auch der Mann in Gefahr befand, getötet zu werden. Er hatte es nicht geschafft, ihn zu retten; die Umstände waren gegen ihn gewesen. Gedankenverloren schaute Schäfer in den Wald und fragte sich, ob es nicht an der Zeit wäre, in eine andere Stadt zu ziehen. Denn langsam gingen ihm hier die Orte aus, an die er sich begeben konnte, ohne an Verbrechen und Tote denken zu müssen.
    Von Scheiblingstein fuhr er auf einer Forststraße nach Weidling und weiter über den Kahlenberg, wo er abermals eine kurze Pause einlegte. Von der Anhöhe, auf der er in der Wiese lag, konnte er die Donau sehen. Eine halbe Stunde Fahrt, dann würde er sich in ihrem Wasser abkühlen.
    Um halb vier war er wieder zu Hause; so erschöpft, dass er sich auf die Couch legte und einschlief, ohne zuvor geduscht zu haben. Geweckt wurde er von der Abendsonne, die es nur von Mai bis Juli schaffte, ihre Strahlen durch das Dachfenster auf seine Couch zu werfen. Schlaftrunken stand er auf, ging planlos in der Wohnung umher und entschloss sich nach ein paar Minuten, ein T-Bone-Steak zu braten. Er hatte zwei gekauft, da im Kühlregal kein einzelnes zu finden gewesen war. Vielleicht wollten die Supermärkte ja die traute Zweisamkeit forcieren; kapitalistische Kuppler, murmelte Schäfer, ging auf den Gang hinaus und klopfte an Wedekinds Tür, um ihn zum Essen einzuladen.
    Es wurde ein angenehmer Abend; Schäfers Nachbar erwies sich als Mensch, der auf alles eine Antwort zu haben schien. Doch nicht auf besserwisserische oder überhebliche Art. Er dachte viel nach, hatte sich ein riesiges Wissen angelesen, das er jedoch nicht verwendete, um bei einer Quizshow reich zu werden, sondern um sich das Leben und die Welt zu erklären, was Schäfer sehr gut verstehen konnte.
    Als er am nächsten Morgen aufstand und den blauen Himmel sah, wünschte er sich sehnlich Regen. Er war erschöpft, seine Beine schwer, sein Gehirn wie in einer zähen Masse gefangen. Drei oder vier Bier, mehr waren es doch nicht gewesen, überlegte er; aber es war spät geworden, fast bis drei Uhr waren sie am Balkon gesessen; und jetzt war es nicht einmal neun.
    Er zog die Jalousien vor die Dachfenster, schloss den Vorhang an der Balkontür und verdunkelte die Wohnung damit, so gut es ging. Dann ging er in die Küche und richtete sich ein einfaches Frühstück. Den Plan, sein Trainingsprogramm vom Vortag zu wiederholen, verwarf er bald. Er setzte sich auf die Couch und schlug das Fernsehprogramm auf. In einem deutschen Sender gab es einen Themenschwerpunkt zu Katharine Hepburn: „Rate mal, wer

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