Der beste Tag meines Lebens
Therapie und sollte ihm helfen, langsam die Furcht vor unbekannten Orten zu überwinden. »Als ob man den Frosch in den Topf mit Wasser steckt und es langsam zum Kochen bringt«, pflegte seine Mutter zu scherzen. [11]
Zunächst fuhren sie nur auf den Parkplatz des Einkaufszentrums und blieben dort eine Weile im Auto sitzen, bevor sie sich wieder auf den Heimweg machten. Nach einem Monat gelang es Mrs. Fischer, Colin dazu zu überreden, sie bis zu den Eingangstüren zu begleiten und diese zu berühren. Fast ein Jahr lang stellten die automatischen Schiebetüren aus Glas ein furchterregendes und unüberwindliches Hindernis dar, bis seine Mutter ihm eines Tages einen Artikel aus dem Internet vorlegte. Erst damit gelang es, Colins Befürchtung, in zwei Hälften zerteilt zu werden, sobald er die Schwelle überschritt, zu entkräften.
Inzwischen war Colin die Mall vertraut und angenehm, zumindest solange er die Reihe von Elektronikläden entlang eines bestimmten Gangs im ersten Stock oder die sprechenden Schneemänner in der Vorweihnachtszeit meiden konnte. Colins Mutter wusste, wie es am besten lief. Mit dem Satz »Wir treffen uns in 45 Minuten am West-Eingang« entließ sie Danny, der sich Videospiele ansehen wollte, und machte sich mit Colin auf, um die Sportbekleidung und -schuhe zu besorgen, die er plötzlich unbedingt haben wollte.
So betraten sie ein Sportgeschäft im zweiten Stock, wo die Verkäufer alle gestreifte Hemden trugen, die wohl an die Trikots der Schiedsrichter beim Football erinnern sollten. Colin wusste genau, welche Marke, welches Modell und welche Farbe seine Schuhe haben sollten. Das hatte er im Internet und in einer Verbraucherzeitschrift recherchiert. Daher widerstand er auch den Versuchen des Verkäufers, ihn zu einem teureren Modell zu überreden. »Das tragen dieses Jahr alle Profibasketballer«, erklärte der Angestellte Colin und seiner Mutter, als würde er ihnen ein Staatsgeheimnis anvertrauen.
»Oh«, sagte Colin daraufhin. Einerseits waren die Profispieler sicher Experten für Schuhqualität. Andererseits zogen sie aber vermutlich einfach das Schuhwerk des Herstellers an, der ihnen am meisten dafür bezahlte. Schließlich kam Colin zu einem praktischen Schluss. »Ich bin ja kein Profibasketballspieler«, meinte er. »Ich besuche nur den Sportunterricht.«
Der Verkäufer gab sich geschlagen und verschwand ins Lager, um das gewünschte Modell in Colins Größe zu holen, während Mrs. Fischer die Kleiderständer mit T-Shirts und Shorts aus 100 Prozent Baumwolle durchsuchte. Colin nutzte die Zeit, um den Besucherstrom in der Mall zu betrachten. Der Gang vor den Läden war so geformt, dass er einem schmalen Canyon glich. Türen und Schaufenster waren sogar so gestaltet, dass sie an Pueblos der Anasazi erinnerten. [12]
Colin katalogisierte im Geiste die verschiedenen Untergruppen, die sich hier aufhielten – eilige Senioren, Mütter mit Kleinkindern auf dem Spielgelände, Grüppchen von gelangweilten Teenagern. Das erinnerte ihn an die Cafeteria seiner Highschool und daran, wie sich auch dort bestimmte Menschen an bestimmten Stellen zusammenfanden. Leider hatte die Rangelei zwischen Wayne und Eddie, gerade bevor der Schuss sich löste, diese verschiedenen sozialen Gruppen vermischt, so dass es nahezu unmöglich war, festzustellen, woher die Waffe gekommen war.
Von hier aus hatte Colin eine exzellente Aussicht auf den Eingang eines großen Kaufhauses. Trotz der ausgezeichneten Möglichkeit, dort Menschen zu beobachten, mochte er gerade diesen Laden kein bisschen. Kosmetika und Parfüms wurden ganz nah am Eingang angeboten, so dass Colin bei jedem Betreten oder Verlassen des Geschäfts gezwungen war, einen Duftnebel zu durchqueren.
Eine schmale Mädchengestalt stand an der Kosmetiktheke und drehte ihm den Rücken zu. Colin merkte einen Moment lang auf, in der Hoffnung, es könnte Melissa sein. Doch dann drehte das Mädchen sich um und zeigte ihrer Mutter das Melonen-Lipgloss, das sie gerade aufgetragen hatte, und Colin sank ein bisschen in sich zusammen. Das Mädchen war nicht Melissa, sondern Sandy Ryan.
»Colin?«, sagte seine Mutter. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie die Schuhe und Sportklamotten schon gekauft hatte und fertig zum Gehen war. Auch wenn sie darauf beharrte, sie stets effizient zu nutzen, und behauptete, es gäbe immer zu wenig davon, war Colin sich zunehmend sicher, dass Zeit etwas völlig Subjektives war. [13]
Sie verließen den Laden gerade
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