Der beste Tag meines Lebens
der Art, wie Colin antwortete, stimmte nicht. Bei jedem anderen Jungen hätte Mrs. Fischer gedacht, das klang wie auswendig gelernt. Als hätte er mit der Frage von ihr gerechnet und sich vorher schon eine Erwiderung zurechtgelegt. Aber Colin war ja nicht wie jeder andere Junge.
»Na dann … pass auf dich auf«, sagte sie schließlich. »Und vergiss nicht, heute ist Pizzaabend.«
Für eine ganze Weile war die einzige Reaktion das entfernte Brummen eines Dieselmotors.
»Ich hab dich lieb, Mom«, sagte Colin noch und legte dann auf.
Mrs. Fischer stellte das Telefon in die Ladeschale zurück und ließ die Hand einen Moment lang darüber schweben, solange sie noch erwog, Colin zurückzurufen. Sie, ihr Mann und ein ganzes Therapeutenteam hatten jahrelang daran gearbeitet, Colin so weit zu bringen, dass er die Zuneigung zu seiner Mutter unaufgefordert zum Ausdruck bringen konnte. Dass er so etwas jetzt einfach von sich aus sagte, war ausgesprochen seltsam.
Als er seiner Mutter zum ersten Mal gesagt hatte, dass er sie liebhabe, hatte sie gerade einen besonders harten Tag in ihrem Job hinter sich. Sie saß mit einer Schüssel Eis am Küchentisch (ein sicheres Zeichen dafür, dass sie dringend moralische Unterstützung brauchte), da kam Colin aus dem Garten hinter dem Haus reingestürmt. Wortlos stapfte er die Stufen zu seinem Zimmer hinauf, doch auf der halben Treppe blieb er stehen – niemand wusste, warum – und rannte zu ihr zurück. »Ich hab dich lieb, Mom«, sagte er. Das war besser als jedes Eis.
An jenem Abend schrieb Colin in sein Notizbuch:
Heute habe ich zu meiner Mutter »Ich hab dich lieb« gesagt. Ich bin mir nicht sicher, ob das richtig war, weil sie anfing zu weinen und ihr Eis weggeworfen hat. Dad sagt, Frauen machen so was, wenn sie »überwältigt« sind, aber ich verstehe wirklich nicht, was an einer Tatsache, die meiner Mutter bereits bekannt war, so überwältigend sein soll. Weiter ermitteln.
»Der lügt dich doch dermaßen an«, sagte Danny. Er knallte die Kühlschranktür zu und ging zum Schrank.
»Red keinen Unsinn«, antwortete sie ein bisschen zu schnell. »Colin lügt nicht.«
»Na klar.« Mit einer Packung String-Cheese-Käsestäbchen und einem Apfel begab er sich ins Wohnzimmer und ließ seine Mutter mit den immer noch nicht fertig ausgepackten Einkäufen allein zurück.
***
»Die Bibliothek?«, wiederholte Wayne. »Das war ja wohl die unglaubwürdigste Story aller Zeiten. Wie hast du es denn geschafft, dass sie dir das abnimmt?«
Sie waren gerade etwa vier Meilen von Colins Zuhause entfernt, an Bord eines schmuddeligen orangefarbenen Busses der MTA . Er gehörte zu der Flotte, die die breiten, zwanzig Meilen langen Straßen abfuhr, die das San Fernando Valley von West nach Ost durchkreuzten. Colin hielt die Fahrt über Arme und Beine eng an seinen Rumpf gepresst. Er war von Fremden und vermutlich unfreundlichen Gesichtern umzingelt. Sie alle waren auf einem Raum zusammengedrängt, der für den bequemen Transport deutlich weniger Passagiere hätte aufnehmen dürfen, als von Gesetz wegen erlaubt waren. Es roch noch dazu seltsam – säuerlich und zugleich ekelerregend süß. Eine Mischung irgendwo zwischen Schulgarderobe und Gasofen, seit die MTA komplett auf alternativen Treibstoff umgestellt hatte.
Es grenzte schon an ein Wunder, dass es Colin gelungen war, überhaupt in den Bus einzusteigen. Nur die Tatsache, dass Wayne hinter ihm war und ihn sanft vorwärtsdrängte, hatte das ermöglicht.
»Das ist ja wie in der Mos Eisley Cantina [21] hier drin«, hatte Wayne angemerkt, nachdem sie sich gesetzt hatten. Colin hatte ihm darauf nicht antworten können: Er war zu sehr damit beschäftigt, zu zählen und über den Anruf, den er noch zu erledigen hatte, nachzudenken.
Jetzt überprüfte Colin das Batterieniveau seines Handys, bevor er es wieder im Rucksack verstaute. Er versuchte, nicht über den zufälligen Körperkontakt zu Wayne nachzudenken, der beim Hantieren mit seinen Habseligkeiten unvermeidlich war. Jetzt schaute Colin auf und bemerkte sein Spiegelbild in der getönten Fensterscheibe. Sein Gesichtsausdruck war völlig neutral.
»Ich glaube, das war der Kuleschow-Effekt«, sagte Colin. Er blickte auf das Gekritzel in seinem Notizbuch, das wegen der holpernden Busfahrt ungleichmäßiger aussah als seine normale Schrift.
Mir ist nur gerade klargeworden, dass ich noch ein bisschen weiterrecherchieren muss, deshalb wollte ich dir Bescheid sagen. Bis zum
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