Der Besuch
gefallen.“
„Manchmal“, sagte der Vikar, „zur Schlafenszeit, wenn ich in einem Zustand zwischen Wachsein und Einschlafen war, habe ich Gesichter gesehen, die so schön waren wie deines, und seltsame, verwirrende Bilder einer wunderbaren Landschaft, die vorüberglitten, geflügelte Wesen, die darüber hinschwebten, und wunderbare – manchmal schreckliche –
Gestalten, die sich hin und her bewegten. Sogar liebliche Musik habe ich vernommen ...
Vielleicht ist es so, daß, sobald wir unsere Aufmerksamkeit von der Sinnenwelt, den übermächtigen Eindrücken, die auf uns einwirken, abwenden und in einen Dämmerschlaf gleiten, andere Welten ... So wie wir die Sterne sehen, jene anderen Welten des Universums, wenn das grelle Licht des Tages weicht ... Und die künstlerisch begabten Träumer, die solche Dinge am klarsten sehen ...“
Sie blickten einander an.
„Und auf irgendeine unbegreifliche Weise bin ich aus meiner eigenen in deine Welt hineingefallen“, sagte der Engel, „in die Welt meiner Träume, die nun Wirklichkeit geworden ist!“ Er blickte um sich. „In die Welt meiner Träume.“
„Es ist verwirrend“, sagte der Vikar. „Man könnte fast glauben, es gäbe ... hm ... letzten Endes doch vier Dimensionen. In diesem Fall natürlich“, fuhr er eilig fort – denn er liebte geometrische Spekulationen und war in gewisser Hinsicht stolz auf seine Kenntnisse auf diesem Gebiet – „kann es jede beliebige Anzahl von dreidimensionalen Universen geben, die Seite an Seite existieren und dunkel voneinander träumen. Es kann eine Welt über der anderen liegen, Universum über Universum. Das ist absolut möglich. Nichts ist so unglaublich wie das absolut Mögliche. Aber ich möchte wissen, wie es dazu gekommen ist, daß Sie von Ihrer Welt in meine gefallen sind ...“
„Ach, du meine Güte!“ sagte der Engel. „Da sind Rehe und auch ein Hirsch! Genau wie man sie auf den Wappen zeichnet. Wie grotesk alles wirkt! Bin ich denn wirklich wach?“ Er rieb sich die Augen.
Das halbe Dutzend gesprenkelten Rotwildes kam im Gänsemarsch schräg durch den Wald, hielt an und spähte herüber. „Es ist kein Traum – ich bin wirklich ein Engel von Fleisch und Blut, im Traumland“, sagte der Engel. Er lachte. Der Vikar stand da und musterte ihn.
Der geistliche Herr verzog einer Angewohnheit folgend seinen Mund und fuhr sich langsam über das Kinn. Er fragte sich, ob nicht auch er im Land der Träume war.
7
Nun gibt es in der Welt der Engel, das hatte der Vikar im Laufe vieler Gespräche gelernt, weder Schmerz noch Sorge noch Tod, weder Heirat noch Scheidung, weder Geburt noch Vergessen. Nur zu manchen Zeiten fängt etwas Neues an. Es ist ein Land ohne Berg oder Tal, ein wunderbar ebenes Land, das von seltsamen Gebilden funkelt, in dem ununterbrochen die Sonne leuchtet oder der Vollmond scheint, und mit ständigen Brisen, die durch das äolische Blättergeflecht der Bäume wehen. Es ist ein Wunderland, mit Ozeanen voller Glanz am Himmel, über die seltsame Flotten segeln, niemand weiß wohin. Die Blumen glühen dort am Himmel, und die Sterne scheinen einem zu Füßen, und Glückseligkeit ist der Atem des Lebens. Das Land breitet sich endlos aus – es gibt weder ein Solarsystem noch einen interstellaren Raum wie in unserem Universum –, und die Luft reicht über die Sonne hinaus in die unendliche Tiefe des Himmels. Nur Schönheit gibt es dort – die ganze Schönheit in unserer Kunst ist nur ein schwacher Abglanz undeutlicher Ahnungen von dieser wunderbaren Welt, und unsere Komponisten, unsere echten Komponisten, hören, wenn auch schwach, einzelne Klänge der Melodie, die vor ihren Winden treiben.
Und die Engel und wunderbare Monster aus Bronze und Marmor und glühendem Feuer gehen dort hin und her.
Es ist ein Land des Gesetzes – denn was immer auch existiert, es steht unter dem Gesetz
–, aber seine Gesetze unterscheiden sich alle, auf irgendeine seltsame Weise, von den unseren. Ihre Geometrie ist anders, denn ihr Raum ist gekrümmt, so daß alle ihre Ebenen Zylinder sind; und ihr Gravitationsgesetz folgt nicht dem Prinzip der umgekehrten quadratischen Proportionalität, und es gibt vierundzwanzig Grundfarben anstatt nur drei. Die meisten phantastischen Phänomene unserer Naturwissenschaft sind dort alltäglich, und unsere ganze irdische Naturwissenschaft würde ihnen wie der verrückteste Traum erscheinen. Ihre Pflanzen, zum Beispiel, tragen keine Blüten, sondern Strahlenkränze aus buntem
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