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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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eines Krokodils, an anderen wieder merkwürdig weich. Ich hatte gehört, dass seine Hände bei einem Kriegseinsatz Brandverletzungen davongetragen hatten, ebenso wie ein Teil seines Gesichts. Von den Narben abgesehen, war er ein recht attraktiver Mann; größer als ich, wirkte er mit seinen vierundzwanzig Jahren immer noch jungenhaft und schlank. Er war auch wie ein Junge gekleidet, trug ein Hemd mit offenem Kragen, Sommerhosen und fleckige Baumwollschuhe. Er ging ohne Eile und mit einem merklichen Hinken.
    Im Gehen sagte er: »Sie wissen vermutlich, warum Sie hergerufen wurden?«
    »Man sagte mir, eines Ihrer Dienstmädchen sei krank«, erwiderte ich.
    » Eines unserer Dienstmädchen! Das ist gut! Es gibt nämlich nur noch das eine: unsere Betty. Scheint Probleme mit dem Magen zu haben.« Sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass er gewisse Zweifel hegte. »Keine Ahnung. Meine Mutter, meine Schwester und ich kommen gewöhnlich ohne Ärzte aus. Wir kurieren unsere Erkältungen und Kopfschmerzen allein aus. Aber heutzutage kommt es ja schon einem Kapitalverbrechen gleich, wenn man seine Dienstboten vernachlässigt. Anscheinend soll ihnen eine bessere Behandlung zuteilwerden als uns. Also dachten wir uns, dass wir lieber mal nach jemandem schicken. Vorsicht, da vorn müssen Sie aufpassen, wo Sie hintreten.«
    Er hatte mich über eine Kiesterrasse geführt, die sich entlang der gesamten Nordseite des Hauses erstreckte; nun deutete er auf eine Stelle, an der die Terrasse abgesunken war und ein paar tückische Mulden und Risse aufwies. Ich suchte mir einen Weg außen herum, froh über die Gelegenheit, auch diese Seite des Hauses einmal zu sehen. Doch wieder war ich bestürzt, wie sehr man Haus und Garten hatte verwahrlosen lassen. Der Garten war ein einziges Durcheinander aus Nesseln und Winden. Es roch schwach, aber unverkennbar nach verstopften Abflussrohren. Die Fenster, an denen wir vorüberkamen, waren staubig und mit Schlieren überzogen; alle waren geschlossen, die meisten zusätzlich von Fensterläden verdeckt. Einzig oberhalb einer freitragenden, von einer Winde überwucherten Treppe standen ein paar Glastüren offen. Dahinter erhaschte ich einen Blick auf ein großes, unordentliches Zimmer, einen Schreibtisch, auf dem sich Papiere türmten, und ein Stück Brokatvorhang. Mehr konnte ich im Vorbeigehen nicht erkennen. Wir gelangten zu einem schmalen Dienstboteneingang, und Roderick ließ mich eintreten.
    »Gehen Sie einfach durch«, forderte er mich auf und winkte mich mit seiner vernarbten Hand weiter. »Meine Schwester ist unten. Sie wird Sie zu Betty bringen und Ihnen alles Weitere erklären.«
    Erst später, als ich mich wieder an sein verletztes Bein erinnerte, kam mir in den Sinn, dass er mir wahrscheinlich ersparen wollte, ihm bei seinem mühsamen Kampf mit der Treppe zuzusehen. Aber in dem Moment selbst empfand ich sein Verhalten als ziemlich gleichgültig und ging ohne ein Wort zu sagen an ihm vorbei. Kurz darauf hörte ich ihn mit seinen Gummisohlen leise über den Kies davonknirschen.
    Auch ich setzte meine Schritte möglichst lautlos. Mir war plötzlich bewusst geworden, dass es sich bei dem schmalen Eingang um dieselbe Tür handelte, durch die meine Mutter mich vor so vielen Jahren gewissermaßen ins Haus geschmuggelt hatte. Ich konnte mich noch an die kahle Steintreppe erinnern, die hinter der Tür lag, und als ich den Stufen nach unten folgte, fand ich mich in dem düsteren Gewölbegang wieder, der mich damals so beeindruckt hatte. Doch auch hier erwartete mich wieder eine Enttäuschung. Ich hatte diesen Korridor als eine Art Krypta oder Verlies in Erinnerung; tatsächlich waren seine Wände aber in dem glänzenden, undefinierbaren Beigegrün gestrichen, das man auf Polizei- oder Feuerwachen findet; die steinernen Bodenplatten waren mit Kokosmatten bedeckt, und in einem Putzeimer wartete ein Mopp missmutig auf seinen nächsten Einsatz. Niemand kam, um mich zu begrüßen, aber zu meiner Rechten stand eine Tür halb offen. Vorsichtig trat ich näher und konnte einen Blick in die Küche werfen. Wieder ein Reinfall: Ich sah einen großen, ausgestorbenen Raum mit viktorianischen Theken und blankgescheuerten Arbeitsflächen, die an ein Leichenschauhaus erinnerten. Nur der alte Bohlentisch – ebenjener Tisch, wie mir schien, an dem ich damals Geleespeisen und Pudding gegessen hatte – rief noch die gespannte Aufregung jenes ersten Besuchs ins Gedächtnis. Dieser Tisch war auch das einzige Möbelstück

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