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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Irgendwie muss ich mir ja auch mein Honorar verdienen. Möchtest du, dass ich mal mit den Ayres rede? Sie wollen bestimmt nicht, dass du unglücklich bist …«
    »Ach, die wollen doch bloß, dass ich meine Arbeit mach.«
    »Und wie wäre es, wenn ich mal mit deinen Eltern spreche?«
    »Soll das ’n Witz sein? Meine Mutter treibt sich die meiste Zeit mit irgendwelchen Typen rum, der is doch ganz egal, wo ich bin. Und mit meinem Dad is auch nichts anzufangen. Der schreit den ganzen Tag rum. Den ganzen Tag lang ein einziges Geschrei und Gezanke. Und dann dreht er sich rum und nimmt meine Mutter wieder zurück, als wär nichts passiert, jedes Mal. Er hat mich doch bloß in Stellung geschickt, damit ich nich so werd’ wie sie.«
    »Aber wieso um alles in der Welt willst du dann wieder nach Hause zurück? Es klingt mir doch ganz so, als ob du es hier besser hättest.«
    »Ich will auch nich nach Hause! «, rief sie. »Ich will bloß … Ach, ich hab einfach die Nase voll von allem!«
    Ihr Gesicht hatte sich verdüstert. In ihrer Verdrossenheit und Wut erinnerte sie plötzlich weniger an ein Kind als vielmehr an ein junges, nicht ganz ungefährliches Tier. Doch als sie merkte, dass ich sie beobachtete, verschwand der Anflug von Reizbarkeit, und ihr Selbstmitleid gewann wieder die Oberhand; sie seufzte unglücklich und schloss die geschwollenen Lider. Einen Moment lang saßen wir schweigend da, und ich blickte mich in dem tristen, beinahe unterirdisch erscheinenden Raum um. Die Stille war so absolut, dass sie fast schon erdrückend wirkte, in dieser Hinsicht zumindest hatte Betty recht. Die Luft war kühl, aber merkwürdig schwer; irgendwie war hier unten die Last des darüberliegenden Hauses fühlbar, ja, man spürte sogar das langsame Heranschleichen von Nesseln und Unkraut.
    Ich musste an meine Mutter denken. Sie war vermutlich noch jünger als Betty gewesen, als sie ihren Dienst auf Hundreds Hall angetreten hatte.
    Ich erhob mich. »Nun, meine Liebe. Ich fürchte, wir alle müssen uns gelegentlich mit Dingen abfinden, die uns nicht gefallen. So ist das Leben, und dagegen gibt es auch kein Medikament. Aber was hältst du von diesem Vorschlag: Du bleibst den Rest des Tages im Bett liegen, und wir betrachten das Ganze einfach als kleinen Erholungsurlaub. Ich erzähle Miss Ayres nichts davon, dass du bloß simuliert hast, und ich schicke dir eine Flasche mit einem Magenmittelchen hierher. Dann kannst du dir die Flasche gründlich anschauen und immer daran denken, wie knapp du einer Blinddarmoperation entgangen bist. Außerdem werde ich Miss Ayres fragen, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, wie man das Leben hier draußen für dich ein wenig erfreulicher gestalten kann. Und in der Zwischenzeit gibst du dem Haus und deiner Arbeit hier noch eine zweite Chance. Was meinst du dazu?«
    Sie starrte mich einen Moment mit ihren ausdruckslosen grauen Augen an und nickte dann. »Danke, Herr Doktor«, flüsterte sie mit kläglicher Stimme.
    Dann ging ich zur Tür, während sie sich im Bett umdrehte und mir ihren weißen Nacken und die schmalen, hervorstehenden Schulterblätter zukehrte.
    Als ich aus dem Zimmer trat, war der Korridor leer, doch genau wie vorher fing der Hund an zu bellen, kaum dass die Tür zugeschlagen war. Man hörte das aufgeregte Scharren von Pfoten über den Boden, und er kam aus der Küche geschossen. Doch diesmal war er weniger ungestüm, seine Aufregung legte sich rasch, und schließlich gestattete er mir, ihn zu tätscheln und an den Ohren zu kraulen. Caroline tauchte in der Küchentür auf und wischte sich die Hände auf energische Hausfrauenart an einem Geschirrhandtuch ab. An der Wand hinter ihr befand sich, wie ich bemerkte, immer noch der Kasten mit den Klingeln und Drähten, diese gebieterische kleine Anlage, die dazu diente, das Hauspersonal in den Bereich der Herrschaften im oberen Stock zu rufen.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte Caroline sich, während der Hund und ich auf sie zugingen.
    Ohne zu zögern erwiderte ich: »Bloß eine leichte Magenverstimmung. Nichts Ernstes, aber es war ganz richtig, dass Sie mich hergerufen haben. Bei Magenproblemen sollte man immer vorsichtig sein, vor allem bei diesem Wetter. Ich schicke Ihnen ein Medikament, und am besten sollte sie sich noch ein, zwei Tage schonen … Aber da ist noch etwas.« Ich stand nun neben ihr und senkte die Stimme. »Ich habe den Eindruck, dass sie ziemlich großes Heimweh hat. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«
    Sie runzelte die

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