Der bewaffnete Freund
Grenze. Jahre später sollte man auch in europäischen Zeitungen lesen können, was in der Region um X bereits damals allgemein bekannt war, außerhalb aber nur gesagt werden konnte, wenn man bereit war, sich als Verschwörungstheoretiker lächerlich zu machen: Die sozialistische Regierung in Madrid hatte Todesschwadronen aufgebaut, um Frankreich zur Auslieferung flüchtiger Mitglieder der verbotenen Organisation zu zwingen. Damals erhielten diese im Nachbarland noch Asyl. Franco war nicht lange tot, und die Hintergründe des Konflikts waren gegenwärtig. Einmal entging auch Zubieta nur knapp einem Anschlag. Als ich ihn Weihnachten 1986 in Hendaye besuchte, begegnete uns im Hauseingang ein Nachbar, der wenige Wochen später eben dort umgebracht werden sollte. Zubieta erzählte, der Mann sei auf die französische Seite geflohen, weil er in Spanien seinen Wehrdienst nicht ableisten wollte. Mit den Untergrundorganisationen hatte er nie etwas zu tun gehabt, trotzdem legten ihm die GAL, eingesetzt von der spanischen Regierung, eine Bombe unter das Auto.
Auch das war Teil der demokratischen Normalisierung. Teil der Geschichte des Terrors.
Wir verbringen ruhige Tage in Armins Mühle. Rabbee erkundet mit Hanna die nähere Umgebung und erhält Einblicke in das Leben der Haustiere in der Nachbarschaft, Armin widmet sich seinem Kräutergarten, ich lese einen Roman von Dietmar Dath, eines dieser Bücher, die mich wegen des Umfangs immer abgeschreckt haben, und versuche nicht an den Artikel zu denken, auf den ich am Vortag in El Mundo gestoßen bin.
Am Nachmittag lädt uns Armin zum Essen ein. Pizzeria mit Blick auf Meer und Fischerhafen. Rabbees Freund Mark hat neulich in einem Vortrag behauptet, an der Costa del Sol werde seit Jahren keine Fischerei mehr betrieben. Die Boote lägen auf Initiative der Tourismusbüros an der Küste vor Anker.
Hanna fragt, warum ich nur noch so selten nach Hause komme.
»Bei mir bist du doch auch zu Hause.«
»Aber da ist Leyla nicht.«
Leyla ist Katharinas Katze.
Armin unterhält sich mit Rabbee über das Niveau an deutschen Universitäten. Rabbee stellt fest, dass kritische Ansätze vollständig aus den Lehrplänen getilgt worden seien. Armin erwidert, das deutsche Hochschulsystem habe die nötigen Reformen verschlafen. Die beiden scheinen sich bestens zu verstehen, obwohl sie in jeder Hinsicht aneinander vorbeireden. Ihr Bemühen um Harmonie irritiert mich.
In diesem Moment ruft Katharina auf dem Handy an. Sie will wissen, wie es Hanna geht.
»Gut«, sage ich knapp.
»Gibst du sie mir bitte?«
Ich seufze. Katharina weiß, dass mich eine Minute im Ausland dreißig Cent kostet. Sie könnte mir eine Nummer geben, um sie auf Festnetz zurückzurufen.
»Ja, klar.«
Gedanken eines Zwangscharakters: dreißig Cent pro Minute.
Die Anwesenden verschwinden hinter einer Geräuschkulisse.
Ich blicke aus dem Fenster.
Das Meer sieht wie eine Bleiplatte aus.
Und plötzlich erinnere ich mich wieder an das Ende unseres Besuchs in Bayonne: Etwas außerhalb der Stadt setzten Montse, Zubieta und ich uns zu dritt in den Sand. Es war anders als mit dem Comic-Helden Corto Maltes. Ein Dreieck birgt Schwierigkeiten, wenn die Beteiligten die Welt der Erzählung verlassen. Zubieta erklärte mir seine Sicht der Dinge, »des Konflikts«, wie er sagte, »des nicht erklärten Kriegs«. Er war plötzlich sehr redselig.
Montse hingegen schwieg. Langsam brach die Nacht herein, Gischttropfen spritzten uns immer wieder ins Gesicht.
Ich habe damals Zubieta zu bewundern begonnen, aber mein eigentliches Interesse galt nach wie vor Montse, Montserrat, der Frau mit der kratzigen Stimme.
Sie beteiligte sich erst wieder am Gespräch, als wir erneut aufs Schreiben zu sprechen kamen. Wir diskutierten über Existenzialismus, die Surrealisten, den Nouveau Roman und die Literatur in der lange verbotenen Sprache. Ziemlich bald fiel der Name Joseba Sarrionandia – ein junger Schriftsteller, der 1980 verhaftet und als Terrorist verurteilt worden war. Montserrat bezeichnete ihn als den talentiertesten der jungen Autoren, und Zubieta fügte hinzu, man müsse endlich begreifen, dass sich eine Haltung weniger im Inhalt als in der Form manifestiert.
Ich erinnere mich genau an seine Formulierung.
»Nicht, worüber man schreibt, ist politisch, sondern wie man schreibt.« Er legte den Kopf in den Nacken, sodass mein Blick auf Montserrat fiel, die neben Zubieta auf der von mir abgewandten Seite saß.
Ihre Gesichtszüge waren
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