Der bewaffnete Freund
Morgen eine zehn mal zehn Meter große Fläche mit der Sense, und wenn es gegen Mittag heiß wurde, begann es nach Heu zu riechen. Richtung Nordosten zeichneten sich die Umrisse der Pyrenäen ab.
Montse arbeitete gewöhnlich bis 19 Uhr. Wenn sie nach Hause kam, setzten wir uns auf den schmalen Balkon der Villa, den Blick auf die Fischerbucht gerichtet. Montse mischte auf ihrer Handfläche dunkles marokkanisches Haschisch mit kaum parfumiertem Tabak, rollte es geschickt in Zigarettenpapier ein, und dann warteten wir auf den Besuch von Corto Maltes. Er stieß meist etwas später zu uns, wenn es schon dunkel geworden war, aber auch dann redeten wir wenig. In der Region um X, deren Name damals noch gesagt werden konnte und die bisweilen sogar in großen europäischen Tageszeitungen wegen des rebellischen Geistes ihrer Bewohner gefeiert wurde, gelten die Menschen als wortkarg. Angeblich, weil Fischer, Bergbauer und Hirte einsame Berufe sind. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass ihre Sprache immer wieder verboten war oder dass einem der Anblick wolkenverhangener Küstenstriche und Berglandschaften aufs Gemüt schlägt.
Wir bildeten eine verschworene Gemeinschaft: Montse, die Frau mit dem kratzigen Lachen, ich, gerade siebzehn geworden, und Corto Maltes, die melancholische Comic-Figur.
Zubieta zerbrach diesen Frieden. Ein Mann mit länglichem Gesicht und eingefallenen Wangen, aber Bauchansatz. Er schien kein Interesse an seinem Gegenüber zu haben. Als wir auf Politik zu sprechen kamen, was damals unvermeidlich war, und über die Revolution in Nicaragua diskutierten, verwendete er Begriffe, die mir nichts sagten – Begriffe wie objektive Notwendigkeit und gesellschaftlicher Prozess. Meistens blieb er nicht lange. Verpflichtungen.
Zubieta hatte immer Verpflichtungen.
Sie hatten zusammen Abitur gemacht, erzählte Montse nach meiner ersten Begegnung mit Zubieta, und zusammen die Sprache gelernt, die damals noch illegal war. Der Unterricht fand heimlich statt, im Hinterzimmer eines Gastronomievereins, unter einer Nationalfahne mit rotem Stern. »Seltsame Kombination: Kochen, Lernen, Revolution …«, sagte Montse und lachte auf. »Das ist ewig her.« Ihre Wege hätten sich dann auseinander entwickelt. Erst später habe ich begriffen, dass sie zusammen gewesen sein müssen.
Weihnachten 1984 fuhr ich erneut in den Süden: drei lange Wochen. Um dem Winter in Deutschland zu entkommen und vielleicht doch noch mit der älteren Freundin zu schlafen. Wir feierten den Jahreswechsel, ein eigenartiges Jahr: Höhepunkt von Pessimismus und Niedergeschlagenheit. Man sagte »keine Zukunft«, allerdings auf Englisch, weil sich das heimischer anfühlte. Alles war dem Untergang geweiht – der Wald, die Menschheit und das Spießerleben sowieso. Über Corto Maltes wurde in der Villa kaum noch gesprochen. Dafür machten wir Ausflüge – auf die französische Seite.
Bayonne, das von Montse hartnäckig Baiona genannt wurde, strahlte etwas Schweres, Versteinertes aus. Die Zugstrecke führte von der Grenze hinauf an leuchtend grünen Hängen entlang, milde Luft, das Meer war von Schaumkronen überzogen. Ein windiger Januartag.
Wir trafen Zubieta in einer Bar. Kronenbourg bière d’ Alsace war über ihm auf einem Schild zu lesen. Wir sprachen über Literatur, und Zubieta gab sich unerwartet herzlich. Es stellte sich heraus, dass er selbst schrieb. Texte für das Theater, eine experimentelle Literaturzeitung, eine Punkband, die später berühmt werden sollte; und gegen die später, mittlerweile bei Dub angekommen, außerhalb der Region ein faktisches Auftrittsverbot verhängt wurde. Zubieta führte uns durch die Stadt. Bayonne sah klein, klobig, alt aus, ich bin nie wieder dorthin zurückgekehrt. Montse schwieg die meiste Zeit, als hätte sie etwas mit Zubieta zu besprechen und würde durch mich davon abgehalten. In Bayonne fließen Nive und Adour zusammen: graubraune Flüsse, die in den Pyrenäen entspringen, aber hier unten, wo sie ins Meer münden, träge wirken. Ich erinnere mich an Bilder während unseres Spaziergangs: der Himmel düster, sich im Wind biegende Büsche, das Flattern der französischen Fahnen über der Kaimauer, Fischerboote. Manchmal eine ironische Bemerkung Zubietas, von einem Lächeln begleitet.
Und immer wieder sein nervöser Blick über die Schulter.
Zwischen 1983 und 1989 ermordeten die rechten Grupos Antiterroristas de Liberación mehr als dreißig Menschen in südwestfranzösischen Städten nahe der
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