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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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nicht, was er ihr antwortete. Wahrscheinlich redete er wie üblich einfach leise weiter.
    »Hoffentlich«, sagte Landau, »hat Meijer es geschafft, das Sch’ma auszusprechen. Sch’ma Israel, A-donaj E-lohejnu, A-donaj Echad. Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig.«
    Ich hörte meine Mutter in der Küche. Besteck landete mit lautem Klappern in der Schublade. Schranktüren wurden aufgerissen und wieder zugeknallt.
    »Hör zu, Jonah«, flüsterte Landau, als würde er mir ein Geheimnis verraten, »wenn ›einzig‹ das letzte Wort ist, das einem über die Lippen kommt, wird man bestimmt mit Ihm vereinigt.«
    »Ist er da?«, fragte ich und hob den Finger in die Luft.
    Landau schüttelte den Kopf, das konnte alles Mögliche bedeuten.
    Sonja sagt, sie wisse nicht, wie das gehen solle: festhalten und loslassen zur selben Zeit.
    Ich habe das Mädchen sehr gern, aber jetzt soll sie gehen. Ich sehne mich nach Ruhe. Dieses Signal wird irgendwo im Raum zwischen ihr und mir aufgefangen. Sonja kramt ein Telefon aus der Hosentasche und hält es hoch.
    »Entschuldigung, da ruft mich jemand an.«
    Sie steht auf und ist verschwunden.

56
    Der Abend ist urplötzlich hereingebrochen, ich muss mehrere Schläfchen gehalten haben. Ich will nicht ausschließen, dass auf diese Weise einige Tage vergangen sind, mit ermüdenden Gesprächen, die höchstens ein paar Minuten dauerten, leichten Mahlzeiten, deren Verdauung mich Stunden kostete, und der Sehnsucht nach Kontakt, die erlosch, sobald jemand in meine Nähe kam.
    Mein Bett steht dicht am Fenster, ich komme mir vor wie der Ehrenbehinderte des Theaters. Heute Abend, an der Milchstraße: Erscheinen des Halbmondes und einiger alter Sterne. Wie oft habe ich diese Aufführung bereits gesehen? Vielleicht an allen Tagen meines Lebens. Wie viele mögen das wohl inzwischen sein?
    »Schwester?«
    »Da bin ich.«
    Volltreffer. Dachte ich es mir doch, dass ich irgendwo im Zimmer Schritte gehört hatte.
    »Wie viele Tage sind neunundachtzig Jahre?«
    Die Frau nähert sich. Es ist die eine, die so aussieht wie … ach, ist ja auch egal.
    »Puh! Dreihundertfünfundsechzig mal neunundachtzig, das sind … Moment.«
    Sie holt einen Stift aus der Kitteltasche, klappt ein Ringbuch auf und schreibt die Aufgabe auf eine leere Seite. Ein Lächeln legtsich auf ihr Gesicht. »Das sind zweiunddreißigtausendvierhundertfünfundachtzig Tage!«
    Sie räumt den Stift und das Ringbuch weg und zieht meine Decke ein Stück höher.
    »Früher hatte ich einen Globus, so eine Weltkugel mit einem kleinen Licht drin. Bestehend aus zwei beim Äquator aneinandergedrückten Hälften. Er stand in meinem Zimmer. Als Nachttischlampe. Nachts stellte ich mir vor, dass ich im Weltall war und auf die Erde hinuntersah.«
    Die Schwester lächelt und fragt: »War das eine schöne Vorstellung?«
    Schwer zu sagen. Ich glaube, dass sie schön war, aber nicht so schön, wie jetzt an den kleinen Jungen von damals zu denken, dort im Bett. In der Weesperstraat, in der Tolstraat. Den Globus hatte ich bei meiner letzten Runde durch die Wohnung übersehen.
    Durch die Zimmer.
    Die Küche.
    Und den Flur.
    Da, wo ich spielte, dort, wo Papa stand, und Mama – ich kniff die Augen zusammen.
    »Liegen Sie gut?«
    Weder gut noch ungut. Ich liege. Warte. Genauso wie alle anderen beinahe toten Menschen in diesem Krankenhaus, in dieser Stadt, auf Stühlen oder in Betten – egal wo. Wie die Unvorsichtigen, kurz bevor sie verunglücken. Oder die Kinder, die zwar noch geboren werden müssen, aber nicht, um lange am Leben zu bleiben. Der Unwissende, auf den eine Kugel zurast. Wenn deine Zeit gekommen ist, brauchst du nichts mehr zu tun. Du kannst dich noch ein bisschen bewegen, wenn dir das Spaß macht, aber du musst nicht.
    Um der Schwester einen Gefallen zu tun, schnappe ich nach dem Strohhalm, mit dem sie mir über die Lippen streicht. Ein Schluck Apfelsaft strömt mir kalt durch die Kehle.
    »Kann ich noch etwas für Sie tun?«
    »Nein, danke. Alles ist gut.«
    Um sie, diese liebe Frau, weggehen zu sehen, müsste ich den Kopf zur Seite drehen, das schaffe ich nicht mehr. Die Tür schließt sich leise. Wann wird sie wohl wieder aufgehen?
    Ich denke an die letzten Worte der Krankenschwester. Jetzt, da ich nichts mehr tun kann, da mir alles zu viel wird, sind meine Gedanken das Einzige, was mir bleibt.
    Ich würde gern wissen, ob mein Leben zu etwas gut war, möchte noch einmal in aller Ruhe über alles nachdenken und dann schlafen,

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