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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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»Hauptsache, unsere Taube kommt bald in der Tnuva-Zentrale an.«
    »Ich glaube, daß eine bloße Diagnose des Leidens nicht genügt«, fuhr Dulnikker unbeirrt fort. »Ich sage euch, Genossen, ein Minimum an elementaren politischen Begriffen in diese Unglückseligen einzuimpfen - das ist eine Aufgabe, ein wirklicher Schöpfungsakt. Unterbrich mich bitte nicht, mein guter Freund, ich weiß genau, was du sagen willst. Natürlich habe ich nicht vor, diesen primitiven Juden ein Parteiprogramm zu schenken. Aber ich wünsche wirklich, diesen Genossen eine Anzahl soziologischer und staatspolitischer Begriffe beizubringen. Ich denke dabei an ein Seminar in kleinem Maßstab, Zev, mein Freund, nichts sonst. Und jetzt möchte ich gern deine Meinung hören.«
    Amitz Dulnikker richtete sich mit dem gewissen >tatkräftigen Funkeln< in den Augen - wie das seine Kollegen nannten - im Bett auf.
    »Hören Sie, Dulnikker«, sagte Zev. »Die Idee hat was für sich, aber traurigerweise fahren wir demnächst fort.«
    »Und inzwischen soll ich nichts tun?« fragte der Staatsmann anmaßend. »Nein, mein Freund. Eine vollständige politische Erziehung kann ich ihnen nicht angedeihen lassen, aber wenn es mir gelänge, das Dorf seiner ideologischen Genesung auch nur einen Schritt näherzubringen, war meine Mühe nicht umsonst.«
    »Bravo!« rief der Sekretär und packte die schwitzige Hand des Staatsmannes mit einem männlichen harten Griff. Dulnikker errötete leicht, wie immer, wenn er das Gefühl hatte, daß er seinem Ruf gerecht geworden war.
    Als der Arzt kam, hatte Dulnikker schon das Bett verlassen und bemühte sich, im Zimmer auf und ab zu gehen. Der Arzt, ein glattrasierter Mann mittleren Alters, begrüßte ihn freundlich.
    »Hermann Spiegel«, stellte er sich vor. »Ich bin wirklich froh, den Ingenieur persönlich kennenzulernen.«
    »Ich bin kein Ingenieur«, erwiderte der Staatsmann. »Ich heiße Amitz Dulnikker!«
    Der Name sagte dem Arzt nichts. Er bat Dulnikker, sich flach auf dem Rücken auszustrecken, betrachtete dann lange seine Fingernägel, spähte in seine Ohren und öffnete schließlich Dulnikkers Mund zu einer schnellen Besichtigung seiner faulenden Zähne.
    »Sie sind sechzig, äh?«
    Dulnikker war sprachlos. Als man vor kurzem seinen 58. Geburtstag zum zweitenmal gefeiert hatte, war er 61 gewesen.
    Er hielt sich jedoch nur für 55, obwohl er in Wirklichkeit über 67 war. Insgeheim hatte er beschlossen, Anfang des nächsten Jahres seinen 65. Geburtstag zu feiern.
    »Ich habe unmenschliche Schmerzen, Doktor Spiegel«, klagte er. Der Arzt legte ihm die Hand auf den Nacken.
    »Sie sind Internist?« fragte Dulnikker.
    »Nein, Tierarzt.«
    »Was haben Sie gesagt?« donnerte der Staatsmann. »Hat denn dieser Ort keinen Menschendoktor?«
    »Natürlich nicht!« donnerte Hermann Spiegel zurück. »Wer wäre schon so verrückt, in dieses erbärmliche Dorf zu kommen?«
    Der Tierarzt nahm sofort die Gelegenheit wahr und erzählte Dulnikker die betrübliche Geschichte seines Pechs. Man hatte ihn nach Ausbruch einer Maul- und Klauenseuche nach Kimmelquell gehetzt. Hier verliebte er sich auf den ersten Blick in eine der Dorfwitwen, und der Schächter hatte sie unverzüglich getraut. Inzwischen war jedoch der Tnuva-Lastwagen abgefahren.
    »Und so bin ich in diesem verdammten Nest hängengeblieben«, goß Hermann Spiegel sein Herz aus. »Dabei bin ich ein echter westeuropäischer Intellektueller, und die Leute hier sind die reinsten Tiere. Ich mache keine Besuche, ich habe keine Freunde; ich kann mich nicht an die Verhältnisse in diesem Dorf gewöhnen.«
    »Wie lange sind Sie schon hier?«
    »Dreißig Jahre. Und woher sind Sie, Herr Ingenieur?«
    »Ich bin kein Ingenieur«, sagte Dulnikker. »Ich heiße Amitz Dulnikker!« Die deutliche Aussprache seines Namens trug gesegnete Früchte.
    »Guter Himmel!« rief der Tierarzt aufgeregt aus. »Sind Sie wirklich Dulnikker?«
    Ja - das war dasselbe süß-schwindlige Gefühl, das ihm so lange versagt geblieben war: Jemanden atemlos zu sehen und sich seiner schmeichelhaften Verwirrung zu erfreuen.
    »Also, das ist unglaublich!« Hermann Spiegel war begeistert. »Da sind Sie also ein Verwandter des Optikers Dulnikker aus Frankfurt am Main?«
    »Nein!« Der Staatsmann machte sich aus der Umarmung Spiegels frei. »Ich bin mit keinem Optiker verwandt! Ich habe nur Verwandte!«
    Der Tierarzt wies den Staatsmann an, eine Woche im Bett zu bleiben und seine heilenden Glieder mit kalten Umschlägen zu

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