Der Blaumilchkanal
herüber.«
»Habe nichts dagegen«, erwiderte der Schuhflicker, »aber nicht morgen, Herr Ingenieur.«
»Ich bin kein Ingenieur.«
»Trotzdem nicht morgen, weil ich die Absätze erst durch den Barbier bei der Tnuva bestellen muß.«
Der im taktischen Manöver so erfahrene Staatsmann ergriff sofort die sich ihm bietende Gelegenheit.
»Ich möchte wissen«, sagte er, während er Gurewitsch und seinem Gehilfen Zigaretten anbot, »warum es der Barbier sein muß, der die Warenliste aufstellt?«
Der Schuhflicker und der Alte tauschten verblüffte Blicke.
»Er stellt nichts auf«, versicherte der Schuhflicker. »Er schreibt nieder, was ihm die Leute sagen.«
»Selbst das ist eine achtbare Funktion im Dorfleben«, meinte Dulnikker. »Es liegt mir fern, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, meine Herren, aber es scheint, daß Sie, Herr Gurewitsch, die Aufgabe genauso getreu erfüllen könnten. Die Dorfbewohner besuchen nicht nur den Friseurladen. Ihre Institution, als Grundlage aller Schusterarbeit, kommt in häufigen, direkten Kontakt mit ihnen. Ist Ihnen nie eingefallen zu fragen, warum der Barbier ernannt wurde, um die Liste zu führen, und nicht Sie?«
»Ich hab’ mir darüber Gedanken gemacht, Herr Ingenieur«, gab Gurewitsch zu, »und recht ist es nicht!«
»Also dann«, begann Dulnikker seine Schnellfeuerrede, »treten Sie an das Tor des Dorfes hinaus und sagen Sie den Mitbürgern: >Auch ich bin ein Handwerker, nicht weniger als der Barbier, und auch ich will Anteil haben an der Aufstellung der Liste!< Würden Sie das tun, Genosse?«
»Nur wenn ich verrückt wäre, Herr Ingenieur«, erwiderte Gurewitsch gelassen. »Es war wirklich nicht recht von uns, dem Barbier das ganze Zeug aufzuladen. Aber von mir verlangen, mir freiwillig noch eine Arbeit auszusuchen, der jeder sonst versucht, aus dem Weg zu gehen - Sie werden schon entschuldigen, Herr Ingenieur, aber ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen.«
Woraufhin sich der Schuhflicker an seinen Tisch setzte, seinen Hammer hob und zum Staatsmann sagte:
»Sie schicken also Ihren Krankenwärter nächste Woche her, Herr Ingenieur.«
»Er ist mein Sekretär«, murmelte Dulnikker, als er den Laden verließ. Er fand seinen Krankenwärter unter der Linde ausgestreckt, auf seinem Grashalm hohe Töne blasend. Die Wut des Staatsmannes erreichte einen bisher ungeahnten Gipfel. Mit einer schnellen, wütenden Gebärde entriß er Zev den Grashalm, und während er den Sekretär die Straße mit entlang zog, erzählte er ihm die ganze schändliche Angelegenheit. Er beschloß sein Klagelied:
»Dieses Dorf verkommt hoffnungslos.«
Der Sekretär warf einen besorgten Blick auf die vorquellenden Adern des Staatsmannes.
»Nur einem zurückgebliebenen Geistesschwachen könnte es entgehen, was sich hier abspielt!« brüllte Dulnikker. »Wo ist das Dorfratsgebäude, frage ich! Wo ist die öffentliche Parkanlage, frage ich! Wo ist das Industrieviertel, frage ich! Ist es nicht abnormal, daß ein Dorf dieser Größe nicht einmal -einen Bürgermeister hat?«
»Wozu brauchen diese guten Leute einen Bürgermeister?« plädierte Zev. »Ich sehe nicht ein, warum Sie es nötig finden, sich so über sie aufzuregen.«
»Der Mensch hat ein Gewissen«, erwiderte der Staatsmann. »Was mich wirklich wurmt, ist, daß ich keine Möglichkeit finde, sie aus ihrer chronischen Dumpfheit zu ziehen - und niemand will mir dabei helfen! Ich glaube«, Dulnikker warf einen zornigen Blick auf den Karren zurück, der sie mit ohrenzerreißendem Kreischen begleitete, »ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir dieses Transportmittel loswerden.«
»Wie Sie wünschen«, sagte der Sekretär nachdenklich, »obwohl gerade das die Lösung sein könnte.«
Anzeichen einer Gärung
Silberstreifen am Horizont
Geburtswehen
Persona non grata
Geheimberater
Alles vorbei
Anzeichen einer Gärung
Dulnikker hatte seinen Sekretär vor sechs Jahren entdeckt, bei der Versammlung einer kleinen Jugendgruppe. Der Staatsmann pflegte Vorlesungen auch vor so unbedeutenden Einzelgrüppchen zu halten, um seine Unparteilichkeit zu zeigen, indem er keinen Unterschied zwischen den einzelnen Größenordnungen machte. Zev, der Gruppenkoordinator, hatte Dulnikker mit einigen Worten etwa folgendermaßen begrüßt: »Ich freue mich, in unserer Mitte Amitz Dulnikker zu begrüßen, einen der Gründerväter und Former unseres Staates, einen der Gründer und Baumeister der Bewegung, einen Mann der Arbeit, des Schöpferischen, des Kampfes, der
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