Der Blaumilchkanal
sowohl der Vater des Schuhflickers als auch der Besitzer der >Firma< persönlich war?
»Natürlich hab’ ich’s gewußt«, erwiderte Zev. »Ich wohne beim Schuhflicker.«
»Warum hast du mir das denn nicht erzählt, wenn ich fragen darf?«
»Sie haben mich nie gefragt, Dulnikker.«
Jetzt näherte sich Dulnikker seinem schlummernden Sekretär und rüttelte ihn kräftig. Es bedurfte noch einiger ordentlicher Rüttler, um wenigstens eins seiner Augen aufzubekommen.
»Laßt mich schlafen«, stöhnte Zev. »Bitte sagen Sie ihnen, sie sollen nachmittags wiederkommen.«
»Unmöglich, mein Freund Zev.« Dulnikker rieb sich sehr vergnügt die Nase. »Ich habe sie für jetzt eingeladen!«
»Für jetzt?« Der Sekretär wurde noch ein bißchen munterer. »Haben Sie wirklich drei Uhr dreißig nachts gemeint?«
»Nicht nachts, morgens, mein fauler, schläfriger Freund!« höhnte Dulnikker. »Ich schlage vor, ihr wacht auf, Genossen, damit ihr ordnungsgemäß das Protokoll führen könnt.«
»Hol’s der Teufel!« fluchte Zev. »Wozu brauchen wir diesen ganzen Mist?«
»Muß ich dir Rechenschaft über mein Tun ablegen?« entgegnete der Staatsmann kühl. »Wenn du gegen konstruktives Handeln bist, werde ich dich von der aktiven Teilnahme an der Debatte befreien. Alles, was du zu tun hast, ist, das Protokoll zu führen, nichts weiter! Hallo, Genossen, was geht hier vor?«
Dieser fast hysterische Schrei bezog sich auf Salman Hassidoff und Zemach Gurewitsch, die auf dem Fußboden herumrollten und abgerissene Schlachtrufe blökten.
Es war eine ganz natürliche Entwicklung. Als der Schuhflicker merkte, daß der Ingenieur mit seinem Krankenwärter kostbare Zeit mit internen Diskussionen vertat, stand er auf und nahm die Sache selbst in die Hand. Er zog sein schwarzes Jackett aus, hinkte zum Tisch des Barbiers hinüber und fragte:
»Bereit, Salman?«
Hassidoff zog sich wortlos aus, und im nächsten Augenblick waren sie in der Arena und in einen mächtigen Kommunalkampf verwickelt. Der Barbier war wendiger und packte Gurewitsch an der Gurgel, diesem jedoch gelang es, Hassidoff mit einem Tritt seines lahmen Beins in dessen Magen abzuschütteln. Die Dörfler draußen standen auf den Fußspitzen und drückten sich die Nasen an den Fensterscheiben platt; die leichter Erregbaren unter ihnen begleiteten jede Wendung der Entscheidungsschlacht mit begeisterten Zurufen. Einen Augenblick schien es, daß der Schuhflicker die Oberhand hatte, weil er den Kopf des Barbiers in einem Würgegriff hielt, aber in letzter Sekunde gelang es Hassidoff, ein Tischbein zu packen, und der Tisch schleifte überallhin mit, wohin Gurewitsch den Barbier zerrte.
Amitz Dulnikker sah all dem vom Podium aus zu. Sein Gesicht war krebsrot, die Augen fielen ihm fast aus dem Kopf, und seiner Kehle entrang sich ständig wildes Grunzen und sinnloses Knurren. Als der Staatsmann merkte, daß mit seinen Stimmbändern etwas nicht stimmte, hob er den Hammer und begann wild auf den Tisch einzuschlagen, aber seine Bemühungen fruchteten nichts gegen den Lärm der Menge draußen. Die einzige Anwesende, die ihren Gefühlen freien Lauf ließ, war das Heldenweib, das ständig kreischte:
»Gib’s ihm, Salman! Gib’s ihm!«
Salman hatte die Unterstützung seines Weibes grausam nötig, denn er lag auf dem Bauch, der Schuhflicker kniete auf seinem
Rücken und trommelte ihm mit den Fäusten auf den Kopf. In diesem Stadium der Schlacht mischte sich eine neue Stimme in den allgemeinen Lärm: Der Sekretär brach in ein heulendes Hyänenlachen aus und wand sich auf seinem Stuhl. Mittlerweile war es dem Barbier gelungen, der Kommunalkörperschaft des Schuhflickers zu entrinnen und wie ein wütender Stier mit Kopfstößen zum Angriff überzugehen. Eifrig sprang der Schneider auf und begann die Tische beiseite zu rücken. Jetzt endlich fand Dulnikker die Sprache wieder.
»Idiot, was machst du da?« fragte er Ofer Kisch.
»Platz«, erwiderte Ofer Kisch. In diesem Augenblick gaben die dünnen Beine des Präsidialtisches unter Dulnikkers Hammerschlägen nach und brachen zusammen. Der plötzliche Krach ließ die Kämpfer einen Augenblick ihren Griff lockern. Dulnikker machte sich die kurze Flaute zunutze, sprang über die Ruinen seines Tisches und stürmte in die Arena.
»Huligane!« brüllte er und warf sich mit ausgebreiteten Armen zwischen die Kämpfer. Beide waren jedoch schon längst jenseits aller Beherrschung ihrer Reaktionen und setzten den Kampf fort, ohne auf den
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