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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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anbieten; ihr werdet dreiviertel verlangen, und ihr werdet höchstens zehn
    Minuten nachgeben! Im Fall einer völligen Ablehnung - streikt ihr! Ihr müßt euch organisieren, Genossen. Ihr müßt einen bescheidenen Streikfonds beiseite legen. Nur so werdet ihr imstande sein, euch in eurem Kampf gegen die Industrieunternehmer sicher zu fühlen. Verstanden?«
    »Ich verstehe, ich verstehe«, sagte der Alte, mit dem Rücken an die Wand gepreßt, und nickte. »Jetzt gehen Sie ganz ruhig nach Hause, Herr Ingenieur, und ich kümmere mich um alles hier. Es wird schon alles gut werden.«
    »Nein, Genossen«, erklärte Dulnikker und setzte sich auf den zweiten Schemel. »Ich beabsichtige zu warten, bis der Schuster heimkommt. Jetzt kann ich Ihnen ja ruhig sagen, daß ich beabsichtige, Sie, mein Freund, in den Dorfrat aufzunehmen! Das ist der Prüfstein, Genossen!«
    Der Alte zuckte die Achseln und arbeitete mit einem bekümmerten Ausdruck weiter. Gelegentlich warf er dem starr dasitzenden Dulnikker einen ängstlichen Blick zu, aber es fiel kein Wort. Nach einer Weile hörten sie den schweren Schritt des Schuhflickers. Er trat ein, begrüßte Dulnikker und band seinen Schurz um.
    »Jetzt!« flüsterte Dulnikker dem zögernden Arbeiter zu. »Ich stehe hinter euch!«
    »Höre, Zemach«, sprach der Alte den Schuhflicker demütig an und gestikulierte entschuldigend, »der Herr Ingenieur will, daß ich heute eine Stunde weniger arbeite.«
    »Fein«, sagte der Schuster, »es ist heute ohnehin nicht viel zu tun.«
    Die Adern an Dulnikkers Schläfen begannen wieder zu schwellen.
    »Nein!« schrie er heiser. »Nein! Nicht nur heute! Von heute an!«
    Der Schuhflicker sah ihn erstaunt an.
    »Schön«, sagte er und setzte sich mit einer fragenden Grimasse auf den leeren Schemel.
    »Schneiden Sie keine Grimassen, mein Freund! Dieser alte Mann ist voll berechtigt, eine Stunde weniger zu arbeiten!«
    »In Ordnung!«
    »Täglich!«
    »Herr Ingenieur« - Zemach Gurewitsch war außer sich -, »natürlich kann mein Vater arbeiten, wann es ihm paßt! Sie brauchen mich nicht die ganze Zeit daran zu erinnern, daß die Werkstatt ihm gehört!«
    Das Stelldichein in der Hütte hatte einige Tage nicht stattgefunden, weil sich Dulnikker verkühlt hatte. Der Staatsmann nieste sehr oft, und dank seiner tropfenden Nase klang seine Stimme wie die eines Wildenterichs. Aber betrachtete man es genau, so rettete ihn seine Verkühlung vor einem schlimmeren Schicksal. Wäre sie nicht gewesen, hätte ihn Elifas Hermanowitsch am frühen Mittwoch morgen nicht in seinem Bett angetroffen.
    »Wer ist da?« Der Staatsmann wachte bei der Berührung der Hand des Wirts auf. »Wer stört mich?«
    »Ich«, kam Elifas’ Stimme aus der pechschwarzen Finsternis. »Stehen Sie bitte auf, Herr Ingenieur, es ist alles so vorbereitet, wie Sie es haben wollen. Der Dorfrat wartet auf Sie.«
    Der Staatsmann fuhr zusammen. »Was? Aber ich habe sie für drei-dreißig eingeladen.«
    »Stimmt«, erwiderte der Wirt. »Es ist jetzt drei-dreißig.«
    Dem Staatsmann wirbelte es im Kopf. »Guter Gott«, murmelte er, »habt ihr geglaubt, der Dorfrat würde sich nachts um halb vier versammeln?«
    »Es ist nicht nachts. Es ist halb vier morgens«, korrigierte ihn Elifas. »Es tut mir sehr leid, Herr Ingenieur, aber in dem
    Geheimbrief stand nicht, daß Sie es für Nachmittag gemeint haben.«
    »Jedenfalls«, knurrte Dulnikker, als er sich die Decke wieder über den Kopf zog, »unterrichten Sie bitte die Räte von ihrem peinlichen Irrtum.«
    »Unmöglich, Herr Ingenieur, das ganze Dorf ist unten ...«
    Diese originelle Wendung der Ereignisse konnte nur Dulnikker selbst überraschen. Die Einladungen, die der Krankenwärter persönlich an die Gewählten verteilt hatte, wurden trotz der düsteren Geheimhaltungspflicht innerhalb von Stunden Allgemeingut der Öffentlichkeit.
    Alles in allem billigten die Dorfbewohner die Initiative, die von der >Direktion, Abtlg. Ingenieurwesen< an den Tag gelegt wurde, und sie billigten einhellig die glänzende Idee, die strittigen Fragen zwischen dem Barbier und dem Schuhflicker durch einen Kampf von Mann zu Mann zu bereinigen, besonders da in den Dörfern ihrer Ahnen in Rosinesco der Dorfvorsteher ebenfalls von Zeit zu Zeit gezwungen gewesen war, seinen Gegnern seine körperliche Tüchtigkeit vor Augen zu führen. Die Dorfbewohner waren vom Ingenieur selbst angenehm überrascht, weil sie nie geahnt hätten, daß sich ein so verweichlichter Stadtfrack so leicht an das

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