Der Blaumilchkanal
Gemeindehirt dienen würde, solange er die offizielle Uniform trage. Um die Verwirrung noch zu vergrößern, waren die übrigen Dorfbewohner von dem Gedanken, den Hirtenstab zu ergreifen, nicht begeistert und behaupteten, jetzt hätten die Ratsmitglieder ihre Suppe und könnten sie auslöffeln.
Schließlich berief Amitz Dulnikker eine außerordentliche Sitzung des Provisorischen Dorfrats ein und murmelte, daß er anscheinend immer alles selber machen müsse. Alle Abgeordneten erschienen. Als sie eintraten, flüsterte Salman Hassidoff seiner ihm ehelich angetrauten Krankenschwester eine Bemerkung zu, die den Grundton der ganzen Sitzung vorwegnahm:
»Oj! Und nochmals oj!« Der Barbier wies auf die fleckenlose, frisch gewendete Hose des Schuhflickers. »Heute abend gibt’s keine Majorität!«
Und so geschah’s. Zemach Gurewitsch bat als erster ums Wort und schlug eine einstweilige Regelung vor, derzufolge der Bürgermeister den zwölf Steuerzahlern de facto einen persönlichen Brief schicken und ihnen auftragen solle, sich als kommunale Kuhhirten abzuwechseln. Salman Hassidoff war instinktiv gegen den Vorschlag und schlug vor, daß die
Ratsmitglieder in der Reihenfolge ihres Ranges Kuhhirten werden sollten. An diesem Abend wurden sechs Gegenabstimmungen abgehalten; alle waren stimmengleich, weil das >Zünglein an der Waage< konsequent gegen beide Fraktionen in frisch gebügelten Hosen stimmte.
Knapp vor Mitternacht brachte der Krankenwärter seine Meinung zum Ausdruck, daß lieber die letzte Kuh tot umfallen solle, als die Ratsmitglieder aus Schlafmangel. Dieses zynische Aparte war es, was schließlich zur Lösung des Problems führte.
»Meine Herren!« verkündete Dulnikker von seiner Höhe herab, »ich verhülle mein Gesicht aus Scham über Sie! Es sieht so aus, daß ich persönlich gezwungen sein werde, mit meinem Krankenwärter zusammen die leidenden Kühe auf die Weide zu führen.«
Wenn der Staatsmann tief im Herzen erwartete, daß sein Tadel das schlafende Gewissen der Räte wecken würde, dann irrte er, denn seine freiwillige Meldung ließ Wogen der Bewunderung in den Seelen der Abgeordneten aufwallen. Malka begann sofort zu klatschen, und der Großteil des Dorfrats schloß sich freudig an. Selbst den heuchlerischen Schächter freute es, sich zu erkundigen, ob denn der ehrenwerte Ingenieur auch im Kühehüten Erfahrung habe? Er erhielt eine spitze, wenn auch etwas zweideutige Erwiderung vom Sekretär. Zev bemerkte zwischen zwei Gähnen, daß für einen Mann der Öffentlichkeit von Herrn Dulnikkers Rang das Hüten von Vieh nichts Neues sei.
So endete die von Pech verfolgte Sitzung dennoch glücklich, und der Krankenwärter, der sich für einen Großstädter hielt, fühlte sich leicht entwürdigt.
»Hören Sie, Dulnikker«, sagte der Sekretär zu seinem Herrn und Meister, nachdem diesem die Abgeordneten >Masel tow< gewünscht und den Raum verlassen hatten, »wenn Sie um jeden Preis zurück zur Natur wollen, ist das Ihre Angelegenheit, aber warum müssen Sie mich mitschleppen?«
»Warum?« wiederholte Dulnikker jovial. »Ich werde euch gleich erklären, warum, Genossen! Was mich betrifft, so glaube ich fest an den Einfluß des persönlichen Beispiels auf die Massen. Was dich betrifft, mein Freund Zev, so wirst du bei Sonnenaufgang mit mir auf die Weide ziehen, weil du mein vertrauenswürdiger Krankenwärter bist, der bereit ist, für mich durchs Feuer zu gehen. oder hast du dir vorgestellt, mein Freund Zev, daß ich im Alter von siebenundfünfzig Jahren anfange, stumme Tiere herumzujagen?«
Der Sekretär senkte den Blutdruck des Staatsmannes, indem er sich sofort ergab. Das neue erfreuliche Alter seines Herrn und Meisters schrieb er der erfrischenden Anwesenheit Malkas zu. Tatsächlich hatte die Häufigkeit der Begegnungen in der strohgedeckten Hütte nach dem niederträchtigen Entführungsversuch zugenommen, und das Erregende war für die beiden Nachtschwärmer keinen Augenblick geringer geworden. Nachdem der grüne Pullover vollendet war, begann Malka, Handschuhe und Pulswärmer aus demselben grünen Wollknäuel zu stricken, während Dulnikker in großen Sprüngen in die Vergangenheit zurückeilte und nur bei den wichtigsten Ereignissen seiner Biographie innehielt.
Malka, sanft an Dulnikker gelehnt, wurde wohlig durchrieselt von den wunderbaren Erzählungen von Diplomaten, Flugzeugen, Appellen, Visionen, Banketten, Schwachköpfen, Krisen, Zvi Grinstein, Projekten, Schiffen, der Geschichte von einem
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