Der Blaumilchkanal
übergeben. Als der Rechnungsprüfer sein Amt antrat, versprach er dem Dorfrat in einer Plenarsitzung, daß er nicht nachlassen würde, bis er die Wahrheit in der Angelegenheit aufgedeckt habe. Als er mit seinem obenerwähnten Versprechen fertig war, brachen alle Räte in herzlichen Beifall aus, und jeder von ihnen, einschließlich des Herrn Hassidoff, kamen zum Rechnungsprüfer, um ihm Glück zu wünschen und die Hand zu drücken. Überdies segnete ihn der Schächter, Herr Sfaradi, mit dem Erlösersegen.
Ich erinnere mich nicht genau, ob ich dich, Gula, während Deines kurzen Aufenthaltes im Dorf mit dem Tierarzt bekannt gemacht habe. Herr Spiegel ist eine pedantische westdeutsche Persönlichkeit, die alle ihre beschränkten Fähigkeiten zur Lösung des Geheimnisses ins Spiel warf. Die ersten Schritte des Rechnungsprüfers waren jedoch nicht allzu erfolgreich, weil der Bürgermeister in seiner Zusammenarbeit mit Herrn Spiegel etwas zurückhaltend war, aus Gründen, deren Logik nicht leicht zu durchschauen ist. Das Folgende ist die Niederschrift eines Teils des Berichts Nr. 1, verfaßt vom kommunalen Rechnungsprüfer über diese Angelegenheit: F rage : Herr Hassidoff, warum endete der Bau Ihres Büros mit dem Gießen der vier Posten?
A ntwort : Weil das Baumaterial, das wir gekauft hatten, inzwischen ausgegangen war.
F rage : Warum ging es aus, Herr Hassidoff?
A ntwort : Weil es nicht genügte.
F rage : Wo haben Sie genügend Zement herbekommen, Herr Hassidoff, um Ihren Kuhstall zu erbauen?
A ntwort : Ich hatte es.
F rage : Woher, Herr Hassidoff?
A ntwort : Ich weiß sehr gut, wer an einer solchen Frage interessiert ist.
F rage : Herr Hassidoff! Wie erklären Sie es, daß einerseits der Zement für das Gemeindeamt verschwand und daß andererseits Sie einen Kuhstall mit Material bauen, von dem Sie nicht sagen können, wo Sie es gekauft haben?
A ntwort : Ich werde dem Schuhflicker vor den
Bürgermeisterwahlen kein Material gegen mich verschaffen, das verspreche ich Ihnen.
Und so weiter, neun Seiten lang, bis der Verdacht des Herrn Hassidoff, daß seine Worte beim Wahlkampf gegen ihn verwendet werden könnten, endlich beschwichtigt war und er eine eingehende Zeugenaussage lieferte, die Licht auf die ganze Affäre warf:
»Eines Nachts gehe ich schlafen«, so beginnt die Zeugenaussage des provisorischen Bürgermeisters, »und um Mitternacht, da taucht plötzlich in meinem Traum ein sehr alter Zwerg auf, vielleicht neun Zoll hoch, alles in allem, der einen Turban trägt. Sein langer Bart ist ganz rot, und seine Augen sind wie Kohlen. Dann läutet er dreimal mit einer Glasglocke und sagt zu mir: >Salman Hassidoff, gehe in einer dunklen, mondlosen Nacht, dann, wenn der Hahn zu krähen anfängt, zum Kreuzweg des Dorfes, wo die drei Pappeln stehen, und grabe unter den Wurzeln des mittleren Baumes nach. Einen halben Meter tief<, fuhr der uralte Zwerg fort, >wirst du ein Kästchen voller Tnuvascheine finden. Nimm sie und baue dir mit ihnen zum Ruhm des Dorfes einen Kuhstall.< So sprach der alte Zwerg, und ich wußte wirklich nicht, was ich ihm sagen sollte. >Meister<, fragte ich ihn. >Warum schenkst du mir einen solchen Schatz?< Da antwortete mir der Alte: >Weil du der Bürgermeister bist<, und er läutete wieder mit seiner Glocke und verschwand. Als ich in der Früh aufwachte, glaubte ich den Traum nicht. Aber dann wurde ich neugierig, und in einer mondlosen Nacht, als der Hahn krähte, ging ich zu den drei Pappeln, und unter der mittleren fand ich ein Vermögen. Ich nahm es und erfüllte den Befehl des Zwerges mit dem Kuhstall.«
F rage : Haben Sie irgendeinen greifbaren Beweis, daß das, was Sie sagen, wahr ist, Herr Hassidoff?
A ntwort : Natürlich. Jeder kann kommen und den Kuhstall sehen, den ich gebaut habe.
Verzeih, bitte, Gula, daß ich Dir so ausführlich beschreibe, wie sich die Dinge entwickelt haben, aber ich will wirklich, daß Du die Kräfte voll verstehst, die mich gezwungen haben, diese Hinterwäldler so schnell wie möglich zu verlassen. Nun, wie Du oben gelesen hast, wäre die Aussage Herrn Hassidoffs über den Ursprung seiner Mittel glaubhaft gewesen, wenn nicht die Sache mit dem Glockenläuten gewesen wäre, die mich staunen ließ, denn ich konnte keinen Sinn und Verstand für diese Handlung seitens des uralten Zwerges finden. Trotz alledem hätten wir uns dennoch von der Hassidoff-Affäre den täglichen Angelegenheiten zugewandt, hätte es nicht die Wachsamkeit des Herrn Spiegel
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