Der Blaumilchkanal
Lebenden zu benennen.)
Dennoch, trotz der sündhaften Langsamkeit auf dem Gebiet öffentlicher Bauten, hat sich Herr Hassidoff, der provisorische Bürgermeister, einen wunderschönen Kuhstall ganz aus Beton erbaut - eine Entwicklung, die Grund zu kummervollen Gedanken liefert.
Die Gewalt dieser Überlegung bewog mich, den anonymen Brief dem Dorfrat zu übergeben, aber die Abgeordneten reagierten auf die Beschwerde mit heftigen Vorbehalten und begründeten es mit der Tatsache, daß die Beschwerde nicht unterzeichnet war. Meine kompromißlos negative Einstellung zu anonymen Briefen ist öffentlich bekannt. (Wenn Du die Gelegenheit hast, meine Liebe, sieh Dir Band 3 des stenographischen Berichtes des Kongresses der Regierungskörperschaften 1953 an, und du wirst - nach Shimshon Groidiss’ langer und langweiliger Tirade - meine Rede über das Thema finden, die, ich glaube, von ungefähr Seite 420 bis Seite 500 läuft.) Dennoch bestand ich diesmal hartnäckig darauf und unterrichtete Herrn Hassidoff davon, daß ich ohne Rücksicht auf die mangelnde Unterschrift zu wissen wünschte, mit was für Material er seinen schönen Kuhstall erbaut habe. Herr Hassidoff antwortete mir, daß er nicht zu antworten bereit sei, solange er nicht wisse, wer den Brief geschrieben habe.
Von einem gewissen Gesichtspunkt aus schien er recht zu haben, daher lud ich unverzüglich den Polizeichef ein, in die Ratskammer zu kommen, und wies ihn an, mit Hilfe seines klugen Hundes Satan eine Untersuchung einzuleiten. Gleichzeitig deutete ich ihm meinen Verdacht an, daß sich der Urheber des Briefes in Dorfratskreisen bewege und die ganze Beschwerde bloß ein Akt persönlicher Rache sei. Daher beschnüffelte Satan den anonymen Brief, richtete seine Schnauze sofort auf den Boden und kletterte treppauf. Zu meinem großen Erstaunen ging Satan geradewegs in mein Zimmer. Einige Minuten später kam mein Zimmergenosse, der Polizist, mit seinem Hund wieder herunter und berichtete mir, daß Satan ohne zu zögern zu dem Bett seines Herrn gegangen sei und darin zu scharren begonnen hatte. Somit enthüllte sich, daß der Polizist den Brief selbst geschrieben und ihn in einem unbemerkten Augenblick auf mein Bett gelegt hatte. Der Polizist verfaßte unverzüglich eine Niederschrift des Kreuzverhörs entsprechend den Vorschriften, und es ist mir ein Vergnügen, einige Zeilen wie folgt aus der Niederschrift wörtlich zu zitieren, wegen ihres seltsamen Charakters:
ICH: Warum habe ich diesen Brief geschrieben?
D er B eschuldigte : Weil es ekelhaft ist, wie sie Dorfgelder stehlen.
ICH: Kann ich beweisen, daß der Barbier den Zement gestohlen hat?
D er B eschuldigte : Was ist das für eine Frage? Wenn ich es beweisen könnte, hätte ich den Brief unterschrieben -stimmt’s?
ICH: Habe ich den Brief aus privater Rachsucht oder so etwas geschrieben?
D er B eschuldigte : Das verstehe ich nicht.
I ch : Ich auch nicht.
Nachdem das seltsame Protokoll öffentliches Gut geworden war, wandte ich mich wieder an Herrn Hassidoff und
begründete meine Forderung mit seiner vorangegangenen Erklärung, in der er versprochen hatte, den Fall der Erbauung des schönen Kuhstalls zu erklären, sobald der Verleumder identifiziert sei. Der Bürgermeister lehnte es jedoch ab, sich mit der Frage zu beschäftigen, mit der Behauptung, daß der Polizist geistig labil sei, da er Selbstgespräche führe, so daß seine Verleumdungen den Bürgermeister nicht im mindesten beleidigen könnten. Persönlich stimmte ich bereitwillig mit
ihm überein, daß der Polizeichef zu lästiger
Zurückgebliebenheit neigt, gleichzeitig aber unterstrich ich, daß die Affäre einer Klärung bedürfe. Ich wies die
Abgeordneten auf die Wichtigkeit der Reinheit im öffentlichen Leben in unseren Zeiten hin und warnte sie, den Leuten einen Vorwand zu verschaffen, selbst wenn es nur eine lächerliche, völlig unbegründete Erfindung sei. Als ich endete, nahm der fünfköpfige Untersuchungsausschuß seine Tätigkeit wieder auf und im Prinzip meinen Vorschlag an, eine neutrale Persönlichkeit aus den Kreisen der Dorfbewohner als Rechnungsprüfer des Dorfrats zu ernennen, so daß dieser überprüfen könne, ob die Beschwerden gerechtfertigt waren.
Um diese Stellung auszufüllen, schlug ich Hermann Spiegel vor, der den Eindruck macht, streng und gerecht zu sein. Wenige Tage später wurden ihm die Dokumente der Hassidoff-Affäre
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