Der Blaumilchkanal
den Brief.
»Siehst du, Salman«, klagte Frau Hassidoff, als sie fertiggelesen hatte, »da hat man den Dank, wenn man gut zu den Menschen ist. Dem Ingenieur geht es großartig in unserem
Dorf, er frißt und säuft wie ein Nilpferd, und am Ende bewirft er uns mit Schmutz und will weglaufen. Ich sage dir, Salman, euch Politiker sollte man alle miteinander prügeln.«
Geistesabwesend nahm der Barbier ein Streichholz und verbrannte den Brief. Salman Hassidoff war in den letzten Tagen nervös. Die Last des Herrschens lag schwer auf seinen Schultern und verursachte ihm gelegentlich ein seltsames Stechen im Magen, das ihm einen sauren Geschmack im Mund hinterließ. Die Leute redeten aus eifersüchtiger Kleinlichkeit ständig über ihn, und es kamen ihm alle möglichen erfundenen Berichte zu Ohren, die von Mund zu Mund gingen, über einen gewissen Kuhstall und den Dorfzement und den Tierarzt, der anscheinend sein Partner beim Stehlen sei, und ähnliche Aussprüche, von denen nur der Herrgott selbst wußte, von wem sie ausgingen. Die Untersuchungen der Angelegenheit war bereits aus Mangel an Beweisen fallengelassen worden; aber ehrlich gesagt, war der Rechnungsprüfer des Dorfrats, Ofer Kisch, nicht imstande gewesen, sich der Aufklärung der Affäre voll zu widmen, weil sich die Zahl der Aufträge seitens der Dorfräte für verschiedene Schneiderarbeiten in letzter Zeit infolge der Zunahme an Gegenabstimmungen erhöht hatte. In der öffentlichen Meinung des Dorfes konnte man jedoch ein gewisses Gefühl passiver Opposition gegen den Dorfrat wittern. »Wer von uns hat eigentlich diese Führer ausgesucht?« pflegten einander die Dörfler sehr überrascht zu fragen. »Wie ist das plötzlich so gekommen, daß sie uns Befehle geben und wir auf sie hören? Warum?« Und mehr noch, die Bauern verbrachten tagelang Stunde um Stunde unter den Bäumen auf der Straße neben dem neuen Kuhstall des Barbiers, ohne die Augen von den geschlossenen Fenstern zu wenden, hinter denen die tägliche Ratssitzung stattfand. Diese Bauern sagten: »Verflucht noch einmal! Wie lange können sie noch drinnen sitzen, ohne einen Finger zu rühren, während die Kümmelfelder furchtbar vernachlässigt werden?«
Die Räte spürten die Kritik auch, aber sie hätten sich keinen Deut darum geschert, wenn nicht die Wahlen immer näher gekommen wären, die jetzt nur noch drei Wochen fern waren. Als ihnen das klar wurde, warfen sie in einer Sitzung die praktische Idee auf, daß man etwas Gutes durchführen müßte, etwas, das die allgemeine Wertschätzung der legal eingesetzten Dorfführung heben würde. Zu dieser Zeit fungierte als Vorsitzender der Sitzungen - anstelle des Ingenieurs, der sich zurückgezogen hatte - ein neuer, verhältnismäßig junger Mann, Zemach Gurewitschs Schwiegersohn, der für diesen hohen, stundenweise bezahlten Posten ernannt worden war (auf Empfehlung des Schuhflickers). Die meisten Mitglieder des Provisorischen Dorfrats behaupteten, daß Gurewitsch grenzenlos frech sei, aber nicht einer stimmte gegen die Ernennung des Krankenwärters, weil der Vorsitzende keine Stimme besaß und außerdem seine Macht darauf beschränkt wurde, Vorschläge zu machen.
»Herr Krankenwärter«, wandten sich nun die Räte an den Vorsitzenden, »wie setzt man eine eindrucksvolle Tat?«
»Im allgemeinen macht man was Soziales.«
»Warum gerade Soziales?« fragten die Auserwählten. »Was heißt das?«
»Das ist eine Art >Liebe-deinen-Nächsten<-Programm«, erklärte Zev mit großem Vergnügen, »das allerlei Wohltätigkeiten beinhaltet, wie zum Beispiel kostenlose ärztliche Behandlung, kostenlosen Schulbesuch, Massenbesuche in Museen und ähnliches auf Kosten der Regierung.«
»Nix gut«, meinte der Barbier, »wenn sie den Tierarzt nicht bezahlen müßten, wären sie alle krank.«
»Andererseits haben wir bereits kostenlosen Unterricht«, verkündete der Schächter. »Bezahlung ist das schwer zu nennen, was mir die Eltern geben.«
»Und Museumsbesuche auf Kosten des Dorfrats würde sie nicht reizen, weil sie nicht wissen, was ein Museum ist«, meinte der Schuhflicker. »Ich habe eine Idee. Kinder sind uns teurer als alles sonst, daher soll der Rat dem Großvater jedes Neugeborenen ein großes Geschenk oder Bargeld geben.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage!« erwiderte Elifas. »Das betrifft nur einen äußerst beschränkten Kreis, Herr Krankenwärter, Sie kommen aus der Stadt. Was hat man dort vor der Bürgermeisterwahl getan?«
»Daheim?« Der
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