Der Blaumilchkanal
was du gesagt hast!«
Der Sekretär hielt sein verzerrtes Gesicht, fast Nase an Nase, dicht vor Dulnikkers Gesicht, und wieder flüsterte er voller Wut:
»Schluß damit, Dulnikker. Sind Sie schon so senil, daß Sie glauben, ich brauche Ihre Unterweisung und Ihren Rat? Es ist genau umgekehrt! Wer schreibt Ihre rühmenswerten Reden? Wer quetscht - en gros - Ihre Leitartikel aus sich heraus? Wer sind Sie wirklich? Wieviel wissen Sie? Haben Sie denn überhaupt einen Beruf? Dulnikker lenkt siebzig Unternehmen, Dulnikker ist da und Dulnikker ist dort, Dulnikker stürzt, Dulnikker rennt und telefoniert und bemerkt und läßt fallen und erhebt und nimmt an jedem Tag an einem Dutzend Versammlungen teil, er ist der letzte Schiedsrichter - ohne daß er das geringste bißchen von dem Geschäft versteht, das er sich einbildet! Es ist wirklich komisch, wie die Dinge stehen! Zehntausende Narren studieren jahrelang ihren Beruf und üben ihn dann ihr ganzes Leben lang aus, nur damit am Ende der ehrenwerte Politiker daherkommt und alles Lob erntet - weil er eines kann, was man ihnen, all diesen armen Fachleuten, an ihren Universitäten und Berufsschulen nicht beigebracht hat: Er weiß, wie man über das redet, was sie, die anderen, tun! Ja, das ist es, worin Sie, Dulnikker, ein Fachmann sind! Reden, reden, reden wie eine Langspielplatte, Stunde um Stunde, wie ein Wasserhahn, der sich an seinem eigenen Tröpfeln besoffen hat! Dulnikker kämpft bis zum letzten Blutstropfen, ohne zu wissen, wie ein Gewehr ausschaut! Dulnikker schickt Tausende aus, um Wüsten zum Blühen zu bringen, während er selbst nicht einmal eine Topfpflanze je gegossen hat! Staatsmann! Amitz Dulnikker ein Staatsmann! Sie können ja nicht einmal normal reden. Ihre Zunge ist von Phrasen überwuchert, die Sie nicht einmal richtig anwenden können. Aber das hält Dulnikker natürlich nicht davon zurück, lächerliche Literaturpreise zu bekommen oder alle möglichen Kunstausstellungen zu eröffnen, und alles ist großartig, bis er sich zum Essen niedersetzt: Dann rennt jeder um sein liebes Leben. Sagen Sie mir, Dulnikker, bilden Sie sich wirklich ein, daß Sie normal sind? Haben Sie je bemerkt, daß Sie jeden Menschen im Plural anreden, weil Sie nicht mehr wissen, wie man mit Einzelmenschen redet, sondern nur, wie man Massen anspricht? Haben Sie eine Ahnung, wie oft Sie diesen idiotischen Witz erzählt haben, dessen Pointe ich nie verstanden habe? Jeder lacht Sie hinter Ihrem Rücken aus, Dulnikker, aber Sie, besoffen von Ihrer eigenen Größe, sind unfähig, die Heiterkeit zu merken, die Sie überall begleitet.
Lassen Sie mich Ihnen sagen, warum Sie mich >entdeckt< haben: Ich habe damals in unserer Zweigstelle eine Wette abgeschlossen, daß ich Sie mit den lächerlichsten Komplimenten begrüßen kann, und Sie - vor Stolz zerschmelzen. Ich kann mich bis zum heutigen Tage an diese absurden Titel erinnern: >der Baumeister, der Former, der Avantgardist, das leuchtende Beispiel seiner Generation!< Ich würde noch jetzt in Gelächter ausbrechen, Dulnikker, wenn es nicht so traurig wäre. >Der Verwirklichen der Eroberer!< Und was sonst noch! Sie haben nur eines erobert, Dulnikker: Ihren Platz in der Partei, und selbst dort blockieren Sie den Weg für Männer, die jünger und begabter sind als Sie. Dulnikker kann man nicht beiseite schieben. Dulnikker sitzt noch immer auf demselben Sessel, auf den er durch Zufall vor dreißig Jahren gefallen ist, als wäre er mit Eisenbeton an ihn angeklebt ...«
Der Sekretär spie die Worte heraus, als wären sie seit Jahren in ihm eingesperrt gewesen und plötzlich ausgebrochen. Sein Gesicht war blaßgrün, und sein ganzer Körper lehnte gekrümmt an der Wand. Er atmete und krächzte mit einem pfeifenden Stöhnen.
»Wann werden Sie endlich selbst sehen, Dulnikker, wie Sie wirklich sind? Wann werden Sie endlich die Tatsache erkennen, daß Ihre Zeit vorbei ist und nie wiederkehrt? Daß Sie heute nicht mehr als eine übergroße Seifenblase sind, aufgeblasen bis zum Platzen? Warten Sie darauf, bis Sie wirklich platzen?«
Damit brach der Sekretär auf dem Bett zusammen und warf sich in einem Lachkrampf quer darüber, der sich in leises Weinen verwandelte. Der Staatsmann hatte sich den tobenden Ausbruch mit düsterer Miene angehört, gemischt aus Entsetzen und Übelkeit. Aus irgendeinem Grund wurde sein Gesicht nicht rot, auch seine Stirnadern quollen nicht vor. Sein Gesicht schien eher eingesunken und unermeßlich alt zu sein. Er trat einen
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