Der Blaumilchkanal
Sekretär wurde nachdenklich. »Daheim haben sie jedem Kleinen kostenlos ein Glas Milch gegeben. Aber«, fügte er hinzu, »das war in der Stadt, wo es nicht genug Milch gibt, nicht so wie hier auf dem Dorf.«
»Im Gegenteil!« Die Abgeordneten waren begeistert. »Das ist das beste an dem ganzen Handel. Hier ist Milch für die Kinder kein Problem, weil jeder Bauer mindestens eine Kuh besitzt.«
Die Räte beglückwünschten einander und beeilten sich, zu versichern, daß >dieser Tag den Wendepunkt im Leben des Dorfes bezeichnet^ Aber der Schneider war schon wieder siebengescheit, wie das seine Gewohnheit war.
»Wir stehen vor einer ganz anderen Frage«, behauptete der Steueraufseher. »Woher nehmen wir das Geld, um die zu verteilende Milch zu bezahlen?«
»Wo ist da ein Problem?« wollte der Barbier wissen. »Im Dorf hier wohnen, soweit ich weiß, nicht weniger als zwölf Bürger, die dreitürige Kleiderschränke besitzen, und wir können die benötigte Summe einfach von ihrem Tnuva-Konto abziehen.«
»Nur elf«, verbesserte Ofer Kisch die Zahl der Steuerpflichtigen und erzählte dem versammelten Dorfrat die
Geschichte von dem >Dreitürnik<, der den Dörflern heimlich den Rest seiner Habe verkauft hatte und seit zwei Tagen samt seiner Frau verschwunden war, da sie sich gerüchteweise in einer Höhle im Berg versteckten. Die Sache war immer ungeklärt, aber der Steueraufseher hatte seine Schlüsse auf kurze Sicht gezogen und sofort die Einstufung der einmaligen Zahlungen bei den Übriggebliebenen um ein Zwölftel erhöht.
»Aber meine Herren!« Der Vorsitzende zeigte sich der Situation gewachsen. »Wo steht geschrieben, daß wir Geld aufbringen müssen, um das Projekt zu finanzieren? Verlangen wir doch einfach, daß jeder Bauer den Dorfrat täglich mit einer Tasse Milch für die Dorfkinderchen versorgt.«
»Ausgezeichnet!« rief Elifas Hermanowitsch begeistert, »aber ich schlage vor, zwei Tassen Milch zu verlangen, weil beim Transport sicher eine Menge verschüttet wird.«
»Und noch etwas«, mischte sich der Vorsitzende ein. »Es hat keinen Sinn, daß alle Bauern Milch hergeben. Ich schlage vor, wir verlangen sie nur von denen, die kleine Kinder haben.«
Daher dauerte es nicht lange, bis in Vorbereitung des Projektes >Kostenlose Tasse Milch für jedes Kind durch Gemeindekanäle< vom Dorfapparat die Registrierung von Kleinkindern in Angriff genommen wurde. Gleichzeitig erhielten jene Bürger, die die Hände voller Kleiner hatten, eine schriftliche Anweisung vom Gemeindesekretariat, daß sie allmorgendlich dem Schächter in seinem Haus zwei Tassen frischer Milch zu überbringen hätten. Dann würde Ja’akov darauf sehen, daß der Ratsbote früh aufstand und Tablett um Tablett voller Milchtassenreihen austrug und sie den Kindern ins Haus zurückbrachte, eine Tasse pro Kopf.
»Siehst du, Hühnchen«, sagte der neue Vorsitzende unter laut kreischendem Gelächter zu seinem zärtlichen Weibchen, »so muß man den dumpfen Massen den sozialen Fortschritt aufzwingen.«
»Du bist genauso schlimm wie eh und je«, klagte Dwora. »Du machst dich einfach über alles lustig.«
»Was erwartest du von mir, das ich sonst hier tun soll?« Der Sekretär wurde plötzlich ernst und streckte sich mit einem traurigen Stöhnen auf seinem Bett aus, wie ein Löwe im Käfig eines fremden Zoos.
Das Sozialmilchprojekt rief nur vereinzelte Zusammenstöße zwischen ein paar Rebellen und der Polizeimacht hervor, zu der der Hund Satan gehörte. Diese Vorfälle entwickelten sich nicht zu allgemeinen Tumulten, weil außer dem vorerwähnten Projekt die Bürger keinen Grund zur Klage hatten. Ja, mehr noch, es hatte ganz den Anschein, daß für Kimmelquell das Goldene Zeitalter begonnen hatte.
Das Goldene Zeitalter wurde praktisch durch Ja’akov Sfaradi eröffnet, der eines strahlend schönen Tages damit begann, eine Bezahlung für das Schlachten von Hühnern abzulehnen. Ein gottesfürchtiger Mensch, sagte er, dürfe kein Geld von Juden annehmen, die bei den Gemeindewahlen für ihn stimmten -aus welchen Worten die Leute schlossen, daß sie anscheinend für den Schächter stimmen sollten.
Eine Weile später stellte der Schneider vorübergehend die Einhebung der örtlichen Steuern ein. Statt dessen tanzte er kostenlos bei Privatgesellschaften und gelegentlich sogar ohne eine Gesellschaft - einzig aus glühender Bruderliebe. Aber jedermann war sicher, da sich der Schächter und der Schneider falschen Hoffnungen hingaben, da der Kampf, was
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