Der Blaumilchkanal
hervor auf sie feuerten.
»Vorsicht, Ingenieur«, schrien ihm die Zwillinge zu. »Sie sind in der Feuerlinie! Rennen Sie!«
Die Angreifer eröffneten neuerlich das Feuer, und auch ihre Steine trafen den Staatsmann. Kühn drohte Dulnikker den Wilden:
»Was heißt das? Ihr benehmt euch wie Straßenbälger! Ich verlange, daß ihr sofort aufhört!«
»Hauen Sie ab, Ingenieur!« riefen die Kleinen im chor. »Sie sind uns im Weg! Hauen Sie ab, schnell! Sind Sie taub? Abhauen!«
Dulnikker trat von einem Fuß auf den anderen, verwirrt und aufgebracht. Einmal, bei einer Massenversammlung in Frankreich, hatten ihn Huligane mit zahllosen verfaulten Tomaten beworfen, aber die Kinder daheim hatten ihn noch nie mit etwas beschossen. Majdud - der mit Seniorat - stürzte unter großer Gefahr hinter der Barrikade hervor und zerrte den Staatsmann hinter die Bäume.
»Seien Sie kein Waisenkind, Ingenieur«, schrie er ihn nach der Rettung an. »Sehen Sie denn nicht, daß es so viele sind?«
»Wer sind diese Kinder?«
»Die Schuhflicker-Klasse.«
Dulnikker runzelte die Stirn: Er hatte keine Ahnung von der Veränderung der Werte, die im Erziehungssystem stattgefunden hatte. Zu Beginn jener schicksalhaften Woche hatte sich Salman Hassidoffs Söhnchen während des Mittagessens an seinen Vater, den Bürgermeister, gewandt und plötzlich gefragt: »Papa, ist es wirklich wahr, daß der Schuhflicker der nächste Bürgermeister wird und wir dann eine Menge Wasser haben werden?«
Das Essen blieb Hassidoff im Hals stecken.
»Großartig! Vielleicht erzählst du mir, wo du das her hast?«
»Was für eine Frage! Aus der Schule.«
Frau Hassidoff stieß ein wildes Wutgeheul aus.
»Da hast du’s, Salman! Jetzt siehst du’s!«: schrie die Frau mörderisch. »Dieser heuchlerische Schächter lehrte deinen eigenen Sohn für dein Geld, daß dieser hinkende Schuster Messias ist! Da hast du’s!«
Ohne seine Mahlzeit zu beenden, erhob sich Salman vom Tisch, und von einem stechenden Gefühl im Magen begleitet, rannte er wütend zum Schächter. Ja’akov Sfaradi begrüßte den Bürgermeister höflich und mit königlicher Herablassung. Die Bewegungen des Schächters waren seit kurzem gelassener geworden, und er schritt gemessenen Schritts einher. Selbst sein Gesicht war dank verbesserter Ernährung etwas runder, sein Bart überraschend länger und seine Kleidung unter Ofer Kisches Bügeleisen frischer geworden. Und der Gedanke, einen berufsmäßigen Kantor von draußen herzubringen, gärte schon seit langem in ihm.
»Willkommen«, sagte Ja’akov Sfaradi zu seinem ehrenwerten Gast. »Nehmen Sie Platz.«
»Nehmen Sie gar nix!« griff ihn Hassidoff an. »Sie, meine Herren, zerstören Ihre Schüler, Sie verwandeln die Jugend in Schuhflickerniks, Sie machen meinen Sohn zu meinem Todfeind! Was soll das, wenn ich fragen darf?«
»Einen Augenblick, Herr Bürgermeister.« Der Schächter wich vor der väterlichen Wut zurück. »Nicht im Zorn, bitte. So einfach ist die Sache nicht. Was soll das alles? Täglich fragen die Kinder, wer Bürgermeister wird, warum er es wird, wann er es wird - und schließlich muß ich ihnen im Interesse der Gemeinschaft eine Antwort geben, stimmt’s, Ingenieur Hassidoff?«
»Dann«, der Barbier wurde noch zorniger, »dann geben Sie Ihnen bitte die Antwort, daß der Barbier ewig Bürgermeister bleibt. In Ordnung?«
»Verlangen Sie so etwas nicht von mir, Herr Bürgermeister. Wenn ich Ihren Sieg im voraus prophezeien soll, wäre der
Schuhflicker mit Recht böse, denn erst vor zwei Tagen schenkte er mir ein Paar Wildlederschuhe mit kleinen Löchern an den Seiten zwecks Lüftung.«
»Ich schwöre, was für eine Chuzpe!« Der Barbier kochte und hielt sich die Hand an den Bauch, den Partner seiner Wut. »Vielleicht sagen Sie mir, Ja’akov Sfaradi, wer Sie täglich mit einem Quorum für Gebete versorgte, bevor Sie ein so großer Mann geworden sind? Und wer noch immer Ihren dreckigen Bart kostenlos trimmt?«
»Sie, Ingenieur Hassidoff«, erwiderte der Schächter. »Aber Sie müssen meine heikle Lage verstehen. Wenn Ihre Einstellung vorherrschen sollte, könnte Elifas Hermanowitsch morgen kommen und von mir verlangen, daß ich seine Zwillinge lehre, daß er - der Wirt - zum Bürgermeister gewählt wird, oder zumindest, daß er gewählt hätte werden sollen, als Dank, weil er mir für meine Überwachung kostenlos Mittagessen gibt! Ich kann keine getrennten Klassen für die Kinder sämtlicher Räte und ihrer Anhänger
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