Der bleiche König: Roman (German Edition)
einzelne Kapitelentwürfe wurden von Davids Vermerken eingeleitet oder abgeschlossen, wo eine Figur herkam oder wohin er oder sie unterwegs sein mochte. Aber es gab keine Szenenliste, keinen dezidierten Anfangs- oder Schlusspunkt, nichts, was sich als Anleitung für den Pale King hätte verstehen lassen. Als ich die Materialmassen eingehender studierte, wurde mir trotzdem zunehmend klar, wie weit David in seine Romanwelt vorgedrungen war, wie plastisch sein komplexer Schauplatz – das IRS -Regionalprüfzentrum in Peoria, Illinois, im Jahr 1985 – bereits erschien und welch ein beeindruckendes Figurenensemble dort zum Kampf gegen die klobigen, terrorisierenden Dämonen des Alltags antrat.
Karen Green und Bonnie Nadell baten mich, aus diesen Seiten die beste Fassung des Pale King zusammenzustellen, die ich finden konnte. Das erwies sich als eine Herausforderung, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Nachdem ich aber Davids Entwürfe und Notizen gelesen hatte, wollte ich allen, die sein Werk schätzen, zeigen, was er erschaffen hatte – alle sollten noch einmal Einblick in diesen überragenden Geist erhalten. Auch wenn The Pale King alles andere als ein vollendetes Werk ist, halte ich es doch für genauso tief und mutig wie all seine anderen Werke. Die Arbeit daran war die beste Art liebevoller Erinnerungsarbeit, deren ich fähig war.
Bei der Zusammenstellung dieses Buchs habe ich mich an innere Hinweise der Kapitel selbst sowie an Davids Notizen gehalten. Das war keine leichte Aufgabe: Selbst ein Kapitel, das eindeutig den Ausgangspunkt des Romans darstellt, gehört einer Fußnote und mehr noch einer früheren Fassung zufolge erst in den späteren Romanverlauf. Und laut einer anderen Notiz im selben Kapitel steckt der Roman voller »wechselnder Perspektiven, fragmentarischer Strukturen und absichtlicher Inkongruenzen«. Viele Kapitel zeigten aber eine zentrale Erzählung, die einer relativ klaren Chronologie folgt. In diesem Handlungsstrang kommen mehrere Figuren an demselben Tag im Jahr 1985 im Regionalprüfzentrum von Peoria an. Sie werden eingewiesen, machen sich an die Arbeit und lernen die riesige Welt der Bearbeitung von Steuererklärungen im IRS kennen. Diese Kapitel und diese wiederkehrenden Figuren haben eine eindeutige Abfolge, die das Rückgrat des Romans bildet.
Andere Kapitel sind in sich abgeschlossen und nicht Teil einer Chronologie. Das Arrangieren dieser ungebundenen Passagen erwies sich als der schwierigste Teil meiner Arbeit am Pale King . Beim Lesen zeichnete sich zunehmend ab, dass David für den Roman eine ähnliche Struktur wie für Infinite Jest vorgesehen hatte: Dem Leser werden große Teile auf den ersten Blick zusammenhangloser Informationen präsentiert, bevor eine Haupthandlung erkennbar wird. In mehreren Merkzetteln nannte David den Roman »tornadisch« oder schrieb ihm eine »Tornadowirkung« zu – was suggeriert, dass Stücke der Geschichte in einem rasenden Wirbel auf den Leser zugeschossen kommen. Die meisten nicht chronologischen Kapitel haben mit dem Alltag im Regionalprüfzentrum zu tun, mit Praktiken und Traditionen des IRS und mit Gedanken zu Langeweile, Monotonie und Gewohnheit. Es gibt Geschichten diverser ungewöhnlicher und schwieriger Kindheiten, deren Bedeutung sich erst nach und nach herausschält. Ich habe diese Passagen so einzuordnen versucht, dass ihre Informationen die chronologische Haupthandlung unterstützen. Manchmal ist die Platzierung wichtig für die sich entfaltende Geschichte; manchmal ist es eine Frage von Rhythmus und Stimmung, wenn beispielsweise kurze komische Kapitel zwischen langen ernsten situiert werden.
Die Haupterzählung des Romans hat kein klares Ende, und das wirft zwangsläufig die Frage auf, wie unvollendet er ist. Wie viel wäre vielleicht noch gekommen? Ohne detaillierte Exposés mit den Skizzen noch zu schreibender Szenen und Erzählungen ist das nicht zu sagen. Einige Notizen in Davids Manuskriptseiten lassen darauf schließen, dass der Plot des Romans nur unwesentlich über die hier vorgelegten Kapitel hinausreichen sollte. Einmal heißt es da, der Roman sei »eine Abfolge von Vorbereitungen auf Geschehnisse, aber es geschieht nie etwas«. Auf einem anderen Zettel steht, es gebe drei »hochrangige Akteure ... aber man bekommt sie nie zu sehen, nur ihre Berater und Adlaten«. Ein dritter Zettel konstatiert, den ganzen Roman über » droht etwas Großes zu passieren, es passiert dann aber nicht«. Diese Bemerkungen könnten die These
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