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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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wäre das Vertrauen gebrochen. Jammervoll! Würde ich Gaby
andererseits bitten, ihrem Vater nichts zu sagen, wäre das eine Gemeinheit von
mir. Deshalb soll sie diesmal nichts wissen.“
    Klößchen hatte mit tassengroßen
Augen zugehört. „Klingt ja schrecklich. Und was ist nun?“
    „Ich kenne den Rastplatz — so
genau wie meine Hosentasche.“
    „Tatsächlich. Woher?“
    „Voriges Jahr waren Karl,
Volker und ich ziemlich oft dort. Der Schwarze Berg liegt nämlich hinter
Stockhausen. Erst kommt das Dorf, dann das Waldgebiet mit den Ferienhäusern.
Dann der Schwarze Berg — der wahrscheinlich so heißt, weil er mit dunklen
Tannen bestanden ist —, und hinter dem Berg liegen Landstraße und Rastplatz.
Hinter dem Rastplatz hat der Wald eine Lichtung. Massenhaft kann man dort Rehe
beobachten, wenn sie zur Äsung aus dem Dickicht kommen. Wir drei haben uns
damals einen Erdbunker gebaut. Mit Brettern und so. Ist prima geworden, nicht
wahr, Karl? Ich wette, der ist noch heil. Kein Mensch kann einen sehen, wenn
man reinkriecht. Du bist wie vom Erdboden verschluckt. Oben auf den Bunker
haben wir ausgestochene Grasbatzen gepflanzt. Und Farnkraut. Der Einstieg ist
ein Mülltonnendeckel, den man abnehmen kann. Auch der ist bepflanzt. Zum
Rausgucken haben wir nur ein paar schmale Spalten zwischen den Brettern
freigelassen. Waagerecht, natürlich. Kaum handbreit über dem Boden. Und von
dort — und das ist der Witz an der Sache — kannst du nicht nur auf die Lichtung
sehen. Ebenso gut kannst du den ganzen Rastplatz überblicken. Deshalb werde ich
morgen um sieben Uhr aufbrechen. Spätestens um halb neun bin ich am Rastplatz.
Mein Rad verstecke ich im Wald. Dann verschwinde ich im Bunker. Und wenn
Stunden später der Kidnapper das Geld holt, werde ich ihn beobachten.“
    „Ich auch“, sagte Karl.
    „Passe ich als Dritter in den
Bunker mit rein?“ fragte Klößchen.
    „Gerade noch.“ Tarzan lächelte.
„Wichtig ist, daß wir uns warm anziehen. Und Decken mitnehmen.“

     
     
     

19.
Wer hätte das gedacht?
     
    In dieser Nacht wachte Tarzan
fünfmal auf. Die Spannung ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Um zehn vor sechs
kroch er endgültig aus den Federn. Und war kein bißchen müde.
    Klößchen schlief natürlich, wurde
aber wach, als Tarzan leise sein Kofferradio anstellte. Nach den
Sechs-Uhr-Nachrichten folgte der Wetterbericht. Um den ging’s. Ein strahlend
schöner, sonniger Herbsttag wurde angekündigt. Doch davon war noch nichts zu
merken. Vor dem Fenster verdickte sich der Nebel wie in einer Waschküche. Es
brodelte geradezu.
    „Schaurig!“ meinte Klößchen,
gähnte und blieb auf der Bettkante hocken. Ihm war anzusehen, daß er gern noch
geschlafen hätte. Aber mitkommen wollte er unter allen Umständen. Deshalb zog
er sich an.
    Sie wählten ihre ältesten
Sachen. Denn im Bunker war es inzwischen sicherlich feucht. Dicke Anoraks und
je eine Decke sollten gegen Kälte schützen. Klößchen packte zusätzlich fünf
Tafeln Schokolade ein und meinte: „Sollst mal sehen. Wenn wir nachher
stundenlang in dem Loch hocken, freuen wir uns über jeden Bissen.“
    Auf’s Frühstück mußten sie
verzichten. Zu dieser Zeit gab’s noch nichts. Punkt sieben fuhren sie los. Mit
Karl hatten sie sich in der Innenstadt an einer Kreuzung verabredet. Er wartete
schon. Und er hatte sein Fernglas mitgebracht. Außerdem zwei dicke Butterbrote
für seine Freunde.
    „Mensch, prima!“ meinte
Klößchen. „Daß du daran gedacht hast!“
    Sie fuhren schweigend und
ziemlich schnell. An einem Sonntagmorgen schien die Stadt um diese Zeit noch zu
schlafen. Leere Straßen. Ausgeschaltete Ampeln. Nur wenige Leute waren
unterwegs. Vielleicht lag’s auch am Wetter, denn immer noch drückte der wattige
Hochnebel wie ein umgestülptes Meer auf das Land.
    In Rekordzeit wurde Stockhausen
erreicht. Kühe muhten in den Ställen. Eine Kirchturmglocke rief zum
Gottesdienst. Durch den Nebel wurde es gar nicht richtig Tag, und hinter den
meisten Fenstern brannte Licht.
    Hinter Stockhausen führte die
Straße zum Wald. Es ging etwas bergan. Einsamkeit umgab die drei Freunde.
Tannen wuchsen aus dem Nebel. Nur einem Auto begegneten sie. Es hatte die
Scheinwerfer an und fuhr fast im Schritt.
    Mit einer langen Kurve
umrundete die Straße den Schwarzen Berg. Linkerhand ahnte man ihn hinter der
Nebelwand. Daß sie von Wald umgeben waren, rochen die drei. Harzgeruch lag in
der Luft, und die Stille war vollkommen.
    Um 8.27 Uhr erreichten sie

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