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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Richtung auf Tobias Schlotterbeck in Bewegung.
    „Du siehst, die ganze Klasse hat ihre Arbeit unterbrochen und ist genauso neugierig wie ich.“
    Der Sheriff grinste eine Weile in die Gesichter der Untertertia, die sich ihm tatsächlich zugewandt hatten. Dann stand er langsam auf und schaute dem Studienrat entgegen, der fröhlich näher kam. Der Sheriff besah sich Herrn Semmelroth wie ein Arzt, der einen Patienten vor sich hat, von dem er noch nicht genau weiß, ob er ihm eine Blinddarmoperation zumuten darf oder nicht.
    „Wir warten.“ Studienrat Semmelroth blieb stehen und wippte auf den Fußspitzen.
    „Also...“ Der Sheriff holte Luft wie vor einem Hundertmeterlauf. „Also, ich habe da vorhin gedacht — das heißt, ich habe mir überlegt...“ Er biß sich auf die Unterlippe. „Soll ich es wirklich sagen?“
    „Bitte, geniere dich nicht.“ Studienrat Semmelroth wippte weiter.
    „Schön!“ meinte Tobias Schlotterbeck, und dann sprudelte es aus ihm heraus wie aus einer Wasserleitung, die man plötzlich ganz schnell aufdreht: „Also kurz und gut, ich habe mir gedacht, daß es doch eigentlich eine Affengemeinheit ist, unschuldige Untertertianer zwei Tage vor Weihnachten mit einer so schweren Klassenarbeit zu — zu . .
    „... zu konfrontieren, könntest du zum Beispiel sagen“, schlug Studienrat Semmelroth vor.
    „Ja — und ich habe mir auch noch überlegt, daß das mit christlicher Nächstenliebe, die doch gerade in diesen Tagen so in Mode ist, daß das damit rein gar nichts zu tun hat!“ Der Sheriff hatte jetzt einen Kopf, der beinahe genauso knallrot war wie der Apfel, den er noch vor drei Minuten aus seiner Ledermappe geangelt hatte. Aber das hinderte ihn nicht daran, noch sehr höflich zu sagen: „Entschuldigung, Herr Studienrat. Aber Sie wollten es ja wissen.“ Daraufhin setzte er sich wieder auf seinen Stuhl.
    Eine Minute lang herrschte Schweigen. Aber als Studienrat Semmelroth auf einmal loslachte, schüttete sich gleich darauf auch die ganze Untertertia aus vor Lachen. Der kleine Ulli Wagner applaudierte sogar wie im Zirkus und rief: „Bravo, Sheriff!“ Ulli Wagner war der Jüngste in der Klasse und hatte es noch nicht spitzgekriegt, daß man mit seiner Begeisterung genauso sparsam sein muß wie mit seinem Taschengeld.
    „Ich bin ja ganz deiner Meinung“, gab Studienrat Semmelroth schließlich zu. Dabei mußte er sich die Lachtränen aus seinen Augenwinkeln wischen. „Aber Klassenarbeiten sind wie die Masern. Ohne sie geht’s nicht, und je früher man sie hinter sich bringt, um so besser. Stellt euch vor, ihr müßtet während der ganzen Weihnachtsferien daran denken, daß das neue Jahr gleich mit einer englischen Klassenarbeit anfängt! Das wäre doch abscheulich. Und so habt ihr’s in einer Stunde hinter euch.“
    „Einverstanden!“ räumte ein Junge namens Peter Schimmelpfennig ein. Er war aufgestanden und wischte sich mit der linken Hand die Haare aus der Stirn. „Aber es gibt ungefährliche Masern und solche, bei denen es auf Leben und Tod geht.“
    „Gut gebrüllt, Herr Schimmelpfennig“, lobte der Studienrat den Schüler und machte kehrt. „Dann will ich mal im Sinne der christlichen Nächstenliebe eurer Klassenarbeit ein paar Zähne ziehen.“ Er nahm ein Stück Kreide und schrieb drei englische Vokabeln an die Tafel. Daraufhin marschierte er wortlos wieder zu seinem alten Fensterplatz zurück. Draußen tanzten immer noch die Schneeflocken durcheinander.
    Die Untertertia knurrte wie ein großer Hund, der gerade eine halbe Tafel Milchschokolade bekommen hat.
    „Im Namen der Untertertia besten Dank, Herr Studienrat“, sagte der Sheriff und beeilte sich, mit den Vokabeln, die jetzt an der Tafel standen, mehrere weiße Stellen in seiner Übersetzung zu füllen. So ziemlich neunzig Prozent der Klasse machten es genauso.
    Außen an der Türklinke zum Klassenzimmer der Untertertia hing schon seit einer Stunde ein Schild mit der Warnung: „Klassenarbeit“. Und seit Beginn der großen Pause stand auch noch Hausmeister Blaschke auf seinem Posten. Er hatte ein ganzes Stück Korridor für die Schüler der übrigen Klassen, die jetzt mit ihren belegten Broten und Milchflaschen durcheinanderspazierten, regelrecht abgesperrt. Herr Blaschke war sich allerdings nicht ganz sicher gewesen, ob das nötig war, als er in seinem Rücken den Lärm der Untertertianer gehört hatte. Aber seit zwei Minuten schien man sich ja wieder beruhigt zu haben.
    Einen Stock höher kam gerade

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