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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Regenmantel und dem grauen Anzug auf dem Bett.
    „Du hast den halben Strand von Rio oder Honolulu in deinem Gepäck mitgebracht“, sagte Frau Schimmelpfennig lachend. „Überall war Sand dazwischen.“
    „Doozo“, sagte in diesem Augenblick der „blinde Passagier“. Er hatte inzwischen das zitronengelbe Paket geöffnet und überreichte seiner Mutter einen von den drei Kimonos, die ihm Direktor Suzuki mitgegeben hatte. Er verbeugte sich dabei und lächelte, wie er es in Tokio gelernt hatte. Anschließend kam die Großmutter an die Reihe. „Doozo“, sagte Peter Schimmelpfennig zum zweiten Mal, verbeugte sich auch vor ihr und lächelte wieder sehr freundlich. Die Kimonos waren aus Seide und blau-rot gestreift. Auf dem Rücken hatten sie eine große goldene Sonne.
    „Besten Dank“, sagten die beiden Damen Schimmelpfennig, und dann spazierten alle drei durch den Korridor zur Küche.
    Die Tür zu dem Zimmer, das Herr Sang Ping bewohnt hatte, stand offen. Das Bett war frisch überzogen, und die Tischdecke hatte Bügelfalten, so scharf wie eine Rasierklinge. „Am Fünfzehnten zieht ein neuer Untermieter ein“, bemerkte Frau Schimmelpfennig.
    „Aber du solltest jetzt mindestens zehn Mark mehr nehmen“, schlug die Großmutter vor. „Zimmer, in denen sich ein regierender König monatelang die Zähne geputzt hat, werden nicht alle Tage vermietet.“
    Zum Abendessen gab es natürlich Schweinskoteletts und Kartoffelsalat. Zwischendurch klingelte immer wieder das Telefon. „Entschuldigung, wir haben eine Familienfeier“, sagte die Großmutter jedesmal, und als es ihr zu dumm wurde, zog sie einfach den Telefonstöpsel aus der Steckdose. „Oder habt ihr was dagegen?“ fragte sie dabei.
    Man hatte nichts dagegen und trug das Geschirr in die Küche zurück. „Abgewaschen wird erst zu Ostern“, sagte Frau Schimmelpfennig wieder einmal. Dabei entdeckte sie einen Zettel auf dem Küchentisch und meinte: „Das da steckte in einer Hemdentasche deiner schmutzigen Wäsche.“
    „Die Telefonnummer vom Pferdeschwanz“, erklärte Peter Schimmelpfennig und faltete den Zettel sorgfältig zusammen.
    „Daß Pferdeschwänze Telefonnummern haben, ist das Neueste.“ Die Großmutter kicherte.
    „Ich kriege die Masern, wenn ich dran denke, wie viele Briefe ich in den nächsten Tagen schreiben muß“, stöhnte Peter Schimmelpfennig. „An eine Frau Bergström zum Beispiel, an Mister Goldwater, Jimmy und seinen Vater, Kapitän Roland von der Lufthansa, Herrn Mayer mit Ypsilon und Direktor Suzuki. Nicht zu vergessen Hiroshi in seiner Schüleruniform, den Knaben Rodrigo und den Hotelboy Sergio in Rio. Und dann natürlich an den König von Tanimpang.“
    „Man gondelt nicht ungestraft um die Welt“, bemerkte Frau Schimmelpfennig.
    Eine knappe halbe Stunde später saßen die drei Schimmelpfennigs nebeneinander auf dem Sofa. Sie hatten ihre nagelneuen Kimonos aus Tokio angezogen und blickten zu den glitzernden Kugeln und in die kleinen Lichter am Christbaum.
    „Er hat beinahe keine Nadeln mehr, und eigentlich gehört er längst in einen Wagen der Stadtreinigung“, sagte Frau Schimmelpfennig. „Aber ich habe mir eingebildet, daß du gesund zurückkommst, wenn er im Zimmer bleibt. Jeder hat so seinen Aberglauben.“
    Eine Flasche Weißwein stand auf dem Tisch, und in der Dampfheizung klickte es ab und zu. Der Papagei namens Neco durfte frei im Zimmer herumfliegen und saß im Augenblick auf der Messingstange über den Vorhängen.
    „O Tannenbaum, o Tannenbaum“, fing die Großmutter plötzlich zu singen an.
    Schon bei „Du grünst nicht nur zur Sommerszeit“ sangen alle drei Schimmelpfennigs gemeinsam. Bei „Nein, auch im Winter, wenn es schneit“ klingelte es ein paarmal an der Wohnungstür.
    „Wir sind nicht zu Hause“, rief die Großmutter, und die Schimmelpfennigs sangen weiter.

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