Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
fragen, wie in diesem Fall Genetiker ihren Lebensunterhalt verdienen. Wie ist es möglich, jemals von einem Gen »für« blaue Augen oder einem Gen »für« Farbenblindheit zu sprechen, geschweige denn, es zu untersuchen? Legt nicht allein das Studium derartiger Einzel-Geneffekte den Gedanken nahe, daß es wirklich eine Ein-Gen/Ein-Stück-Körper-Kartierung gibt? Erweist sich dadurch nicht alles als falsch, was ich eben gesagt habe, daß der Satz von Genen ein Rezept für die Entwicklung eines Körpers ist? Nein, sicher nicht, und es ist wichtig, zu verstehen, warum nicht.
Vielleicht ist es die beste Methode, zur Analogie mit dem Rezept zurückzukehren. Jeder wird mir darin zustimmen, daß man einen Kuchen nicht in seine einzelnen Krümel aufteilen und sagen kann: »Dieser Krümel entspricht dem ersten Wort im Rezept, dieser Krümel entspricht dem zweiten Wort im Rezept« usw. In diesem Sinne besteht Einigkeit darüber, daß das ganze Rezept dem ganzen Kuchen entspricht. Nehmen wir nun aber an, wir verändern ein Wort im Rezept; nehmen wir etwa an, wir radieren das Wort »Backpulver« aus oder ändern es in »Hefe«. Wir backen 100 Kuchen nach der neuen Version des Rezepts und 100 Kuchen nach der alten. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Gruppen von je 100 Kuchen, und dieser Unterschied ist durch einen Unterschied von einem Wort in den Rezepten bedingt. Obgleich es keine Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Wort und Kuchenkrümel gibt, gibt es de facto eine Eins-zu-eins-Entsprechung von Wortunterschied zu einem Unterschied im ganzen Kuchen. »Backpulver« entspricht nicht irgendeinem besonderen Teil des Kuchens: es beeinflußt, ob der Kuchen aufgeht, und somit die endgültige Gestalt des ganzen Kuchens. Wenn »Backpulver« weggelassen oder durch »Mehl« ersetzt wird, so wird der Kuchen nicht aufgehen. Wenn es durch »Hefe« ersetzt wird, dann wird der Kuchen aufgehen, aber eher wie Brot schmecken. Es wird einen bestimmten identifizierbaren Unterschied geben zwischen Kuchen, die nach der ursprünglichen Version oder nach der »mutierten« Version des Rezepts gebacken wurden, auch wenn es kein spezifisches Stück eines Kuchens gibt, das den in Frage kommenden Worten entspricht. Dieses Bild gibt gut wieder, was geschieht, wenn ein Gen mutiert.
Noch besser wäre die Analogie, wenn wir die Hitze von »350 Grad« auf »450 Grad« verändern würden, weil Gene quantitativ wirken und Mutationen diese quantitative Größe verändern. Kuchen, die nach der »mutierten« heißeren Version des Rezepts gebacken werden, werden anders aus dem Ofen kommen, nicht nur in einem Teil, sondern in ihrer ganzen Substanz, als die Kuchen, die nach der ursprünglichen Version mit niedrigerer Temperatur gebacken wurden. Aber der Vergleich ist immer noch zu einfach. Um das »Backen« eines Babys zu simulieren, sollten wir uns nicht einen einzelnen Vorgang in einem einzelnen Ofen vorstellen, sondern ein Gewirr von Fließbändern, das verschiedene Teile des Gerichts durch zehn Millionen verschiedene Miniaturöfen schickt, hintereinander und parallel zueinander, wobei jeder Ofen eine unterschiedliche Kombination von Geschmäcken aus 10 000 Zutaten hervorbringt. Der springende Punkt der Kuchenanalogie, daß die Gene kein Plan, sondern ein Rezept für ein Verfahren sind, wird aus der komplizierten Version des Vergleichs sogar noch überzeugender deutlich als aus der einfachen.
Es ist Zeit, diese Lektion auf die Frage der Vererbung erworbener Merkmale anzuwenden. Das Wichtige am Bauen nach einem Plan, im Gegensatz zu einem Rezept, ist die Umkehrbarkeit des Prozesses. Es ist leicht, den Bauplan eines Hauses zu rekonstruieren. Man muß nur das Haus vermessen und alles maßstabsgerecht aufzeichnen. Wenn das Haus irgendwelche Merkmale »erwerben« sollte - wenn etwa eine Innenwand abgerissen wird, um ein großes Erdgeschoß zu erhalten -, wird die »umgekehrte Blaupause« diese Veränderung natürlich getreu wiedergeben. Geradeso, wenn die Gene eine Beschreibung des Erwachsenenkörpers wären. Wären die Gene ein Plan, so könnte man sich leicht vorstellen, daß jedes Merkmal, das ein Körper während seiner Lebenszeit erworben hat, getreu rückübertragen wird in den genetischen Code und von dort an die nächste Generation gelangt. Der Sohn des Schmiedes könnte wirklich die Folgen der Muskeltätigkeit seines Vaters erben. Weil aber die Gene keine Blaupause sind, sondern ein Rezept, ist das nicht möglich. Wir können uns die
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