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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Blaupause des Kuchens, der schließlich aus dem Ofen kommen wird. Nicht etwa deshalb, weil das Rezept ein eindimensionaler Strang von Worten ist, der Kuchen jedoch dreidimensional. Wie wir gesehen haben, ist es ohne weiteres möglich, ein maßstabsgerechtes Modell durch ein Rasterverfahren in einen eindimensionalen Code umzuformen. Aber ein Rezept ist kein maßstabsgerechtes Modell, keine Beschreibung eines fertigen Kuchens, auf keinen Fall eine Punkt-für-Punkt-Darstellung. Es ist ein Satz von Instruktionen, die, in der richtigen Reihenfolge ausgeführt, einen Kuchen hervorbringen werden. Ein echter eindimensional kodierter Plan eines Kuchens bestünde aus einer Serie von Rastern durch den Kuchen, als hätte man mit einem Fleischspieß systematisch durch die Ebenen des Kuchens gebohrt. In Millimeterintervallen würde die unmittelbare Umgebung der Spitze des Fleischspießes im Code festgehalten; beispielsweise würden die Daten die genauen Koordinaten jeder Rosine und jeder Krume enthalten. Das gäbe eine strikte Eins-zu-eins-Beziehung zwischen jedem Teilchen des Kuchens und dem korrespondierenden Teilchen der Blaupause. Das ist eindeutig etwas ganz anderes als ein wirkliches Rezept. Es gibt keine Eins-zu-eins-Aufzeichnung zwischen den Kuchenkrümeln und den Wörtern oder Buchstaben des Rezepts. Die Worte des Rezepts bezeichnen nicht einzelne Stückchen fertigen Kuchens, sondern einzelne Schritte auf dem Wege der Herstellung eines Kuchens.
    Zwar verstehen wir noch nicht alles oder noch nicht einmal das meiste davon, wie Lebewesen sich aus befruchteten Eiern entwickeln. Nichtsdestoweniger gibt es sehr überzeugende Hinweise, daß die Gene viel eher so etwas wie ein Rezept als etwa eine Blaupause sind. Der Vergleich mit einem Rezept ist wirklich gut, wohingegen die Analogie mit einer Blaupause, obwohl sie häufig gedankenlos in Lehrbüchern benutzt wird, vor allem in neueren, in fast jeder Hinsicht falsch ist. Die Embryonalentwicklung ist ein Vorgang. Sie ist eine geordnete Aufeinanderfolge von Ereignissen, wie das Verfahren zur Herstellung eines Kuchens, nur daß der Vorgang Millionen mehr Schritte umfaßt und daß verschiedene Schritte in vielen verschiedenen Teilen der Speise gleichzeitig stattfinden. Die meisten Schritte haben mit Zellvervielfältigung zu tun, mit der Erzeugung einer überwältigenden Zahl von Zellen, von denen einige sterben und andere sich zusammentun, um Organe, Gewebe und andere vielzellige Strukturen zu bilden. Wie wir in einem früheren Kapitel gesehen haben, hängt das Verhalten einer speziellen Zelle nicht von den Genen ab, die sie enthält
    - denn alle Zellen in einem Körper enthalten denselben Satz von Genen -, sondern davon, welche Untergruppe der Gene in jener Zelle »aktiviert« wird. An jedem einzelnen Ort in dem sich entwickelnden Körper wird zu jedem besonderen Zeitpunkt während der Entwicklung nur eine Minderheit von Genen aktiviert sein. In anderen Teilen des Embryos und zu anderen Zeitpunkten während der Entwicklung werden andere Gengruppen eingeschaltet. Welche Gene genau in einer Zelle zu einer bestimmten Zeit eingeschaltet werden, hängt von chemischen Bedingungen in jener Zelle ab. Dies wiederum ist abhängig von früheren Bedingungen in diesem Teil des Embryos.
    Darüber hinaus hängt die Wirkung eines Gens, wenn es aktiviert ist, davon ab, was in dem örtlich begrenzten Teil des Embryos vorhanden ist, auf das es wirken kann. Ein Gen, das in der dritten Woche der Entwicklung in Zellen am unteren Ende der Wirbelsäule aktiviert wird, hat einen völlig anderen Effekt als dasselbe Gen, das in der sechzehnten Woche der Entwicklung in Schulterzellen eingeschaltet wird. So ist die Wirkung eines Gens, wenn es überhaupt eine Wirkung hat, nicht ein einfaches Merkmal des Gens an sich, sondern ein Merkmal des Gens in Wechselwirkung mit der jüngsten Geschichte seiner lokalen Umwelt im Embryo. Dadurch erscheint der Gedanke, daß Gene irgendsoetwas wie ein Plan für einen Körper sind, unsinnig, was, wie sich der Leser erinnern wird, auch auf die Computerbiomorphe zutraf.
    Es gibt also keine einfache Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Genen und Körperteilen, ebensowenig wie zwischen den Worten eines Rezepts und den Kuchenkrümeln. Die Gene können zusammen als ein Satz von Instruktionen zur Durchführung eines Prozesses aufgefaßt werden, geradeso wie die Worte eines Rezepts zusammen ein Satz von Anweisungen für die Durchführung eines Verfahrens sind. Der Leser wird sich nun

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