Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
alles liegt vor der eigentlichen Beweisführung, daß der Lamarckismus, selbst wenn er richtig wäre, immer noch die Evolution adaptiver Komplexität nicht erklären könnte.
Wir wenden uns also der Embryologie zu. Geschichtlich gesehen hat es eine scharfe Trennung zwischen zwei verschiedenen Ansichten darüber gegeben, wie aus einzelnen Zellen erwachsene Lebewesen werden. Die offiziellen Namen für diese Ansichten sind Präformationismus und Epigenese, aber in ihren modernen Versionen will ich sie Blaupausentheorie und Rezepttheorie nennen. Die frühen Präformationisten glaubten, der Erwachsenenkörper sei in der einen Zelle, aus der er sich entwickelt, präformiert. Einer von ihnen stellte sich vor, er könne mit seinem Mikroskop einen kleinen Miniaturmenschen - einen »Homunkulus« - zusammengerollt in einem Spermium (nicht Ei!) sehen. Die Embryonalentwicklung war für ihn einfach ein Wachstumsprozeß. Alle Teile des ausgewachsenen Körpers waren bereits da, vorgeformt. Vermutlich hatte dann wohl jeder männliche Homunkulus schon seine eigenen Ultraminiaturspermien, in denen wiederum seine Kinder zusammengerollt waren, und jedes von ihnen enthielt die zusammengerollten Enkel ... Ganz abgesehen von diesem Problem unendlicher Regression vernachlässigt der naive Präformationismus die Tatsache, die im 17. Jh. kaum weniger offensichtlich war als heute, daß Kinder ebenso Merkmale von der Mutter erben wie vom Vater. Um gerecht zu sein, es gab andere Präformationisten, die als »Ovisten« bezeichnet wurden und etwas zahlreicher waren als die »Spermisten«; sie glaubten, daß der Erwachsene im Ei vorgeformt vorhanden sei, nicht im Spermium. Aber der Ovismus leidet unter denselben zwei Problemen wie der Spermismus.
Der moderne Präformationismus leidet unter keinem dieser zwei Probleme, aber er ist immer noch falsch. Der moderne Präformationismus - die Blaupausentheorie - verficht die These, daß die DNS in einem befruchteten Ei der Blaupause des Erwachsenenkörpers entspricht. Eine Blaupause ist eine im Maßstab verkleinerte Miniatur des realen Dinges. Das reale Ding - Haus, Auto oder was sonst - ist ein dreidimensionales Objekt, wohingegen eine Blaupause zweidimensional ist. Man kann ein dreidimensionales Objekt, etwa ein Gebäude, mit einem Satz zweidimensionaler Schnitte darstellen: ein Grundriß von jedem Stockwerk, verschiedene Aufrisse usw. Der verkleinerte Maßstab ist eine Frage der Bequemlichkeit. Die Architekten könnten den Konstrukteuren aus Streichhölzern und Balsaholz gefertigte maßstabsgerechte Modelle von Gebäuden in drei Dimensionen zur Verfügung stellen - aber ein Satz zweidimensionaler Modelle auf flachem Papier - Blaupausen - ist leichter in einer Aktentasche herumzutragen, leichter zu verbessern, und es ist auch leichter, danach zu arbeiten.
Eine weitere Reduktion auf eine Dimension ist erforderlich, wenn Blaupausen als Impulscode in einem Computer gespeichert oder etwa per Telefon in einen anderen Teil des Landes übermittelt werden sollen. Dazu kodiert man einfach jede zweidimensionale Blaupause als ein eindimensionales »Raster« neu. Fernsehbilder werden auf diese Weise zur Übermittlung durch die Luft kodiert. Wieder ist das Komprimieren der Dimension ein im wesentlichen trivialer Kodierungsmechanismus. Der wichtige Punkt ist, daß immer noch eine Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Plan und Gebäude besteht. Jeder Informationsbit des Plans entspricht einem korrespondierenden Teil des Gebäudes. In einem gewissen Sinn ist der Plan ein in Miniatur ausgeführtes »präformiertes« Gebäude, auch wenn die Miniatur in weniger Dimensionen als das echte Gebäude kodiert sein mag.
Der Grund, weshalb ich die Reduktion von Plänen auf eine Dimension erwähne, ist natürlich der, daß auch die DNS ein eindimensionaler Code ist. Geradeso wie es theoretisch möglich ist, ein maßstabsgerechtes Modell eines Gebäudes über ein eindimensionales Telefonkabel zu übermitteln - als ein in Digitalzahlen ausgedrückter Satz von Plänen -, so ist es theoretisch möglich, einen maßstabsgerecht reduzierten Körper durch den eindimensionalen digitalen DNS-Code zu übermitteln. Das geschieht nicht; aber wenn es geschähe, wäre es korrekt zu sagen, die moderne Molekularbiologie habe die uralte Theorie des Präformationismus bestätigt. Betrachten wir nun die andere große Theorie der Embryologie, die Epigenese, die Rezept- oder »Kochbuch«-Theorie.
Ein Rezept in einem Kochbuch ist in keiner Weise eine
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