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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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offenkundig nicht überlebt hätten, um masochistische Nachkommen zu hinterlassen. Wir könnten wahrscheinlich durch künstliche Auslese in gepolsterten Käfigen, unter verhätschelnden Bedingungen, die das Überleben durch ein Team von Tierärzten und Wärtern sicherstellen, eine Rasse von erblichen Masochisten züchten. Aber in der Natur würden solche Masochisten nicht überleben, und das ist der eigentliche Grund, warum Veränderungen, die wir Lernen nennen, gewöhnlich eher Verbesserungen sind als das Gegenteil. Wir sind wiederum zu dem Schluß gekommen, daß es ein darwinistisches Fundament geben muß, um sicherzustellen, daß erworbene Merkmale vorteilhaft sind.
    Wenden wir uns nun dem Prinzip von Benutzung und Nichtbenutzung zu. Dieses Prinzip scheint für einige Aspekte erworbener Verbesserungen recht gut zu funktionieren. Es gibt eine allgemeine Regel, die nicht von spezifischen Einzelheiten abhängig ist. Diese Regel besagt einfach: »Jedes Stück des Körpers, das häufig benutzt wird, sollte größer werden; jedes Stück, das nicht benutzt wird, sollte kleiner werden oder sogar ganz verkümmern.« Da wir erwarten können, daß nützliche (und daher vermutlich benutzte) Körperteile im allgemeinen davon profitieren, wenn sie vergrößert werden, wohingegen nutzlose (und daher vermutlich nicht benutzte) Teile am besten überhaupt gar nicht da wären, scheint die Regel im allgemeinen nützlich. Dennoch erhebt sich ein beachtliches Problem im Hinblick auf das Prinzip des Benutzens und Nichtbenutzens. Und zwar besteht es darin, daß es - selbst wenn es keine anderen Einwände dagegen gäbe - ein bei weitem zu grobes Werkzeug ist, um die außerordentlich feinen Anpassungen hervorzubringen, die wir bei Tier und Pflanzen tatsächlich sehen.
    Das Auge hat uns bisher als gutes Beispiel gedient; warum verwenden wir es also nicht noch einmal? Man denke an all die ausgeklügelt zusammenwirkenden Teile: die Linse mit ihrer klaren Transparenz, Farbkorrektur und Korrektur für sphärische Verzerrung; die Muskeln, die die Linse unverzüglich auf jede Entfernung einstellen können, von wenigen Zentimetern bis unendlich; die Irisblende oder den »Abblend«mechanismus, der für die kontinuierliche Feinjustierung der Augenöffnung sorgt, wie eine Kamera mit eingebautem Lichtmesser und schnellem Computer für Spezialaufnahmen; die Retina mit ihren 125 Millionen farbcodierenden Photozellen; das feine Netzwerk der Blutgefäße, das jeden Teil der Maschine schmiert, das sogar noch feinere Netzwerk der Nerven - die Äquivalente von Verbindungskabeln und elektronischen Chips. Man rufe sich all diese feinziselierte Komplexität ins Gedächtnis und frage sich, ob sie durch das Prinzip von Gebrauch und Nichtgebrauch hätte zusammengebaut werden können. Die Antwort, scheint mir, ist selbstverständlich »nein«.
    Die Linse ist durchscheinend und gegen sphärische und chromatische Abweichungen korrigiert. Hätte sie einfach durch Benutzung entstehen können? Kann eine Linse klar werden durch die Menge von Photonen, die durch sie durchströmen? Kann sie zu einer besseren Linse werden, weil sie benutzt wird, weil Licht durch sie hindurchgegangen ist? Natürlich nicht. Warum um alles auf der Welt sollte sie auch? Werden die Zellen der Retina sich selbst in drei farbempfindliche Klassen sortieren, nur weil sie mit verschiedenfarbigem Licht bombardiert werden? Wiederum: warum um alles auf der Welt sollten sie? Nachdem die Muskeln zur Schärfeeinstellung einmal bestehen, ist es richtig, daß sie durch Trainieren größer und stärker werden; aber das für sich allein wird nicht bewirken, daß die Bilder besser fokussiert werden. In Wahrheit kann das Prinzip von Benutzung und Nichtbenutzung höchstens die gröbsten und wenig eindrucksvollen Anpassungen gestalten.
    Der Darwinschen Auslese andererseits bereitet es keine Schwierigkeit, jedes winzige Detail zu erklären. Gutes Sehvermögen, genaues und sogar pedantisch detailgetreues Sehen kann für ein Tier eine Frage von Leben und Tod sein. Eine richtig fokussierte und gegen Abweichungen korrigierte Linse kann für einen schnell fliegenden Vogel wie einen Segler den Unterschied ausmachen, ob er eine Fliege fängt oder gegen eine Klippe prallt. Eine perfekt regulierte Iris, die rasch herunterblendet, wenn die Sonne herauskommt, kann darüber entscheiden, ob man einen Räuber rechtzeitig sieht, so daß man noch fliehen kann, oder ob man einen fatalen Augenblick lang geblendet ist. Jede

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