Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Vererbung erworbener Merkmale ebensowenig vorstellen wie folgendes Verfahren: Wir schneiden ein Stück aus dem Kuchen heraus. Eine Beschreibung der Änderung wird nun dem Rezept wieder zurück eingegeben; das Rezept verändert sich daraufhin so, daß der nächste, nach dem veränderten Rezept gebackene Kuchen bereits ohne dies eine Stück aus dem Ofen kommt.
Die Lamarckisten mögen traditionsgemäß Hornhaut, also nehmen wir sie als Beispiel. Unser hypothetischer Bankangestellter hatte weiche, gepflegte Hände bis auf eine harte Hornhaut am Mittelfinger seiner rechten Hand, seinem Schreibfinger. Wenn alle Generationen seiner Nachkommen viel schreiben, so erwarten die Lamarckisten, daß die Gene für die Entwicklung der Haut in jener Region so geändert werden, daß Babys gleich mit dem entsprechend härteren Finger geboren werden. Kein Problem, wenn Gene eine Blaupause wären. Es gäbe ein Gen »für« jeden Quadratmillimeter (oder eine passende kleine Einheit) Haut. Die ganze Hautoberfläche eines erwachsenen Bankangestellten würde abgetastet, die Härte jedes Quadratmillimeters aufgeschrieben und in die Gene »für« jenen speziellen Quadratmillimeter eingegeben, insbesondere in die entsprechenden Gene in seinen Spermien.
Aber die Gene sind keine Blaupause. Es gibt keine Gene für jeden Quadratmillimeter. In keiner Weise kann der erwachsene Körper abgetastet und seine Beschreibung in die Gene eingegeben werden. Die »Koordinaten« einer Hornhaut könnten nicht im genetischen Register »nachgeschlagen« und die »geeigneten« Gene nicht verändert werden. Die Entwicklung eines Embryos ist ein Prozeß, der, wenn man ihm richtig in der Vorwärtsrichtung folgt, zu einem Erwachsenenkörper führt; aber es ist ein Prozeß, der inhärent, durch seine Natur selbst, irreversibel ist. Die Vererbung erworbener Merkmale findet nicht nur nicht statt: sie könnte gar nicht stattfinden in einer Lebensform, deren Embryonalentwicklung epigenetisch und nicht präformistisch ist. Jeder Biologe, der den Lamarckismus vertritt, verficht damit stillschweigend - obwohl er schockiert sein mag, das zu hören - eine atomistische, deterministische, reduktionistische Embryologie. Ich wollte eigentlich den Laien unter meinen Lesern nicht mit dieser kleinen Kette anspruchsvoller Fachwörter belasten, aber ich konnte der Ironie einfach nicht widerstehen, denn die Biologen, die heutzutage am meisten mit dem Lamarckismus sympathisieren, sind, wie es der Zufall so will, ebenfalls versessen darauf, denselben Jargon in ihrer Kritik an anderen zu verwenden. Natürlich könnte es irgendwo im Weltall ein fremdes Lebenssystem geben, in dem die Embryologie tatsächlich präformistisch ist; eine Lebensform, die wirklich eine »Blaupausengenetik« kennt und erworbene Merkmale daher wirklich vererben könnte. Bisher habe ich nur gezeigt, daß der Lamarckismus mit der uns bekannten Embryologie unvereinbar ist. Meine Behauptung zu Beginn dieses Artikels reichte aber noch weiter: Selbst wenn erworbene Merkmale vererbt werden könnten, wäre die lamarckistische Theorie dennoch nicht in der Lage, adaptive Evolution zu erklären. Diese Behauptung ist so stark, daß sie auf alle Lebensformen anwendbar sein sollte, überall im Weltall. Sie beruht auf zwei Beweisen; der eine bezieht sich auf Schwierigkeiten mit dem Prinzip von Benutzung und Nichtbenutzung, der andere auf weitere Probleme mit der Vererbung erworbener Eigenschaften. Ich werde sie in umgekehrter Reihenfolge behandeln.
Das Problem mit erworbenen Merkmalen ist im wesentlichen folgendes. Es wäre alles schön und gut mit dem Vererben erworbener Eigenschaften, aber nicht alle erworbenen Merkmale sind Verbesserungen. Tatsächlich handelt es sich in ihrer großen Mehrheit um Verletzungen. Es liegt auf der Hand, daß die Evolution nicht ganz allgemein in Richtung einer adaptiven Verbesserung fortschreitet, wenn erworbene Merkmale unterschiedslos vererbt werden: wenn gebrochene Beine und Pockennarben über Generationen hinweg geradeso wie härtere Füße und sonnengebräunte Haut weitergegeben werden. Die meisten Merkmale, die jede alternde Maschine erwirbt, sind gewöhnlich die akkumulierten Schäden der Zeit: sie schleift sich ab. Wenn diese Merkmale von irgendeinem Abtastverfahren gesammelt und in die Blaupause für die nächste Generation eingegeben würden, wären aufeinanderfolgende Generationen immer hinfälliger. Statt frisch nach einem neuen Plan begänne jede neue Generation das Leben belastet mit
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