Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
die aus diesen 20 Grundbausteinen bestehen. Obwohl ein Protein eine Kette von Aminosäuren ist, bleiben die meisten von ihnen nicht lang und strangartig. Jede Kette rollt sich zu einem komplizierten Knoten zusammen, dessen präzise Form von der Reihenfolge der Aminosäuren bestimmt wird. Die Form dieses Knotens ist daher für jede gegebene Sequenz von Aminosäuren unveränderlich. Die Sequenz von Aminosäuren wiederum wird präzise von den Codesymbolen einer DNS-Länge (über RNS als Vermittler) bestimmt. In gewissem Sinn wird daher die dreidimensionale aufgerollte Form eines Proteins von der eindimensionalen Sequenz von Codesymbolen in der DNS bestimmt.
Der Translationsprozeß gibt dem berühmten dreibuchstabigen »genetischen Code« konkrete Form. Er ist ein Wörterbuch, in dem jedes der 64 (4x4x4) möglichen Triplets von DNS- (oder RNS-)Symbolen in eins der 20 Aminosäuren oder ein »Hör auf zu lesen«-Symbol übersetzt wird. Es gibt vier dieser »Hör auf zu lesen«-Interpunktionszeichen. Viele der Aminosäuren werden von mehr als einem Triplet kodiert (wie der Leser aus der Tatsache erraten haben wird, daß es 64 Triplets und nur 20 Aminosäuren gibt). Die gesamte Übersetzung des strikt der Sequenz folgenden DNS-ROM in präzise, nichtvariierende dreidimensionale Proteinform ist eine beachtliche Leistung digitaler Informationstechnik. Nachfolgende Schritte, mit denen Gene Körper beeinflussen, sind etwas weniger offensichtlich computerähnlich.
Man kann sich jede lebende Zelle, selbst eine einzelne Bakterienzelle, als eine gigantische chemische Fabrik vorstellen. DNS-Muster oder Gene steuern den Verlauf der Ereignisse in der chemischen Fabrik, und sie tun es über ihren Einfluß auf die dreidimensionale Gestalt von Proteinmolekülen. Das Wort gigantisch mag überraschend sein für eine Zelle, besonders, wenn man sich daran erinnert, daß zehn Millionen Bakterienzellen auf der Oberfläche eines Stecknadelkopfes sitzen könnten. Aber man wird sich auch daran erinnern, daß jede dieser Zellen den gesamten Text des Neuen Testaments enthalten kann; darüber hinaus ist sie in der Tat gigantisch, wenn man sie an der Anzahl komplizierter Maschinen mißt, die sie enthält. Jede Maschine ist ein großes Eiweißmolekül, das unter dem Einfluß eines speziellen DNS-Abschnittes zusammengesetzt worden ist. Eiweißmoleküle namens Enzyme sind Maschinen in dem Sinn, daß jedes eine spezielle chemische Reaktion heraufbeschwört. Jede Sorte von Proteinmaschine sprudelt ihr eigenes spezielles chemisches Produkt heraus. Zu diesem Zweck benutzt sie Rohmaterialien, die in der Zelle herumtreiben und sehr wahrscheinlich die Produkte anderer Proteinmaschinen sind. Wenn wir eine Vorstellung von der Größe dieser Proteinmaschinen bekommen wollen: Jede besteht aus etwa 6000 Atomen, was, an molekularen Maßstäben gemessen, sehr groß ist. Es gibt ungefähr eine Million dieser großen Apparate in einer Zelle, und es gibt mehr als 2000 verschiedene Sorten von ihnen, jede darauf spezialisiert, eine bestimmte Operation in der chemischen Fabrik - der Zelle - durchzuführen. Die charakteristischen chemischen Produkte solcher Enzyme verleihen einer Zelle ihre individuelle Gestalt und ihr individuelles Verhalten.
Da alle Körperzellen dieselben Gene enthalten, mag es überraschen, daß nicht alle Körperzellen einander gleich sind. Denn in unterschiedlichen Sorten von Zellen wird jeweils eine verschiedene Unterabteilung von Genen gelesen, während die anderen vernachlässigt werden. In Leberzellen werden für den Bau von Nierenzellen spezifische Teile des DNS-ROM nicht gelesen und umgekehrt. Gestalt und Verhalten einer Zelle hängt davon ab, welche Gene dieser Zelle gelesen und in ihre Proteinprodukte übersetzt werden. Das wiederum hängt von den Chemikalien ab, die sich bereits in der Zelle befinden, und ist zum Teil davon abhängig, welche Gene zuvor in der Zelle gelesen worden sind, und zum Teil von den benachbarten Zellen. Wenn sich eine Zelle in zwei teilt, sind die zwei Tochterzellen nicht notwendigerweise einander gleich. In dem ursprünglich befruchteten Ei z. B. sammeln sich bestimmte Chemikalien am einen Ende der Zelle an, andere ballen sich am anderen Ende. Wenn sich eine derartig polarisierte Zelle teilt, erhalten die zwei Tochterzellen unterschiedliche chemische Zuteilungen. Das heißt, daß in den zwei Tochterzellen unterschiedliche Gene gelesen werden, und damit setzt eine sich selbst verstärkende Abweichung ein. Die
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