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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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eine Strecke von 306 Zeichen gibt, die praktisch identisch ist mit einer Strecke von 306 Zeichen bei Erbsen. Kühe und Erbsen unterscheiden sich voneinander in lediglich zwei von diesen 306 Zeichen. Wir wissen nicht genau, wann der gemeinsame Vorfahr von Kühen und Erbsen lebte, aber die Fossilienurkunden lassen vermuten, daß es irgendwann vor ein bis zwei Milliarden Jahren war. Sagen wir, vor 1,5 Milliarden Jahren. Uber diese (für uns Menschen) unvorstellbar lange Zeit hinweg hat jede der beiden von jenen weit entfernten Ahnen abzweigende Abstammungslinien 305 von den 306 Zeichen bewahrt (im Durchschnitt: es könnte ja sein, daß eine Abstammungslinie alle 306 bewahrt hat und die andere 304). Auf Grabsteinen eingravierte Buchstaben werden schon nach ein paar hundert Jahren unleserlich.
    In gewisser Weise ist die Konservierung des Histon-H4-DNS- Dokuments sogar noch eindrucksvoller, da ja, anders als bei Steintafeln, nicht dieselbe physische Struktur überdauert und den Text bewahrt. Es wird im Ablauf der Generationen wiederholt kopiert und neu kopiert, wie die hebräischen Schriftrollen, die von den Schriftgelehrten alle 80 Jahre rituell abgeschrieben wurden, damit sie nicht verblaßten. Es ist schwer zu schätzen, wie viele Male genau das Histon-H4-Dokument in der Abstammungslinie von den gemeinsamen Vorfahren von Kühen und Erbsen bis zu den Kühen neu kopiert worden ist, aber wahrscheinlich dürfte die Zahl bei nicht weniger als 20milliardenmal liegen. Ebenso schwer ist ein Maßstab zu finden, um die Bewahrung von mehr als 99 % einer Information von 20 Milliarden aufeinanderfolgenden Kopiervorgängen zu vergleichen. Wir können es mit einer Version des Spieles »Stille Post« versuchen. Stellen wir uns 20 Milliarden Stenotypisten in einer Reihe sitzend vor. Diese Schlange von Schreibern würde glatt 500mal um die Erde reichen. Der erste schreibt eine Seite eines Dokuments und reicht es seinem Nachbarn weiter. Der schreibt es ab und reicht seine Kopie dem nächsten weiter usw. Schließlich erreicht die Botschaft das Ende der Reihe, und wir lesen sie (oder eher unsere Enkel in zwölftausendster Generation, wobei wir annehmen, daß alle Schreiber die typische Geschwindigkeit einer guten Sekretärin beim Tippen haben). Wie getreu wäre wohl die letzte Kopie der ursprünglichen Botschaft?
    Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns mit der Genauigkeit der Schreiber beschäftigen. Drehen wir die Frage anders herum. Wie gut müßte jeder sein, um der Leistung der DNS gleichzukommen? Die Antwort ist fast zu lächerlich, um gesagt zu werden: Jeder Schreiber dürfte eine Fehlerrate von nicht mehr als etwa eins in einer Billion haben, d. h., er müßte so genau schreiben, daß er, wenn er die Bibel 250 000mal hintereinander abschriebe, nur einen einzigen Tippfehler machte. In Wirklichkeit hat eine Sekretärin eine Fehlerrate von etwa einem Fehler pro Seite. Das entspricht etwa der Fehlerrate des Histon-H4-Gens mal einer halben Milliarde. Wäre eine Reihe (guter) Sekretärinnen verfügbar, so käme beim 20. Mitglied der Reihe aus 20 Milliarden Sekretärinnen ein um 99 % seiner ursprünglichen Buchstaben reduzierter Text an. Beim 10 000sten Glied der Reihe würde weniger als 1 % des Originaltextes übrigbleiben. Der Punkt fast völliger Verunstaltung des Textes wäre erreicht, ehe 99,9995 % der Schreiber ihn überhaupt zu Gesicht bekommen hätten.
    Der ganze Vergleich ist allerdings ein bißchen schief, aber wiederum in einer interessanten und aufschlußreichen Hinsicht. Habe ich doch den Eindruck vermittelt, als würden wir schlicht Tippfehler messen. Aber das Histon-H4-Dokument ist nicht einfach nur abgeschrieben worden, es unterlag auch der natürlichen Auslese. Histon ist für das Überleben von entscheidender Wichtigkeit. Es wird beim Strukturaufbau von Chromosomen benutzt. Es mag sein, daß eine ganze Menge mehr Fehler beim Kopieren des Histon-H4-Gens vorgekommen sind, aber die mutanten Organismen haben nicht überlebt oder sich zumindest nicht fortgepflanzt. Soll der Vergleich korrekt sein, so müssen wir annehmen, daß im Stuhl jeder Sekretärin ein Gewehr eingebaut ist, das sofort schießt, wenn sie einen Fehler macht; sie wird dann durch eine Reservesekretärin ersetzt (empfindliche Gemüter mögen es vorziehen, sich einen mit einer Feder versehenen Schleudersitz vorzustellen, der nichtswürdige Schreibkräfte sanft aus der Reihe hinauskatapultiert, aber das Gewehr gibt ein realistischeres Bild von der

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