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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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endgültige Gestalt des gesamten Körpers, die Größe seiner Glieder, die Vernetzung seines Gehirns, die Zeitplanung seiner Verhaltensmuster, sie alle sind indirekte Konsequenzen von Wechselbeziehungen unter verschiedenen Sorten von Zellen, deren Unterschiede wiederum entstehen, indem verschiedene Gene gelesen werden. Man stellt sich diese Divergenzprozesse am besten als autonome lokale Ereignisse vor, entsprechend dem »rekursiven« Vorgehen in Kapitel 3, und nicht so sehr durch irgendeinen umfassenden zentralen Entwurf koordiniert.
    Von »Aktion« in dem Sinne, wie das Wort in diesem Kapitel benutzt wird, spricht ein Genetiker, wenn er den »phänotypischen Effekt« eines Gens meint. Die DNS hat Auswirkungen auf Körper, Augenfarbe, Haarkräuselung, Stärke des aggressiven Verhaltens und auf Tausende anderer Merkmale, die alle als phänotypische Effekte bezeichnet werden. Die DNS erzeugt diese Auswirkungen zu Beginn lokal, nachdem sie von der RNS gelesen und in Eiweißketten übersetzt worden ist, um dann Zellgestalt und -verhalten zu beeinflussen. Das ist eine der zwei Arten, wie die in dem DNS-Muster enthaltene Information gelesen werden kann. Die andere ist, daß sie in einen neuen DNS-Strang hineinkopiert werden kann. Das ist die Replikation, von der wir schon gesprochen haben.
    Der Unterschied zwischen diesen beiden Wegen der Weitergabe der DNS-Information, zwischen vertikaler und horizontaler Transmission, ist grundlegend. Vertikal wird die Information an eine andere DNS in Zellen (die andere Zellen machen) weitergegeben, welche Spermien oder Eier herstellen. Sie wird also vertikal an die nächste Generation und dann, wiederum vertikal, an eine unbegrenzte Zahl zukünftiger Generationen weitergegeben. Ich werde dies die »Archiv-DNS« nennen. Sie ist potentiell unsterblich. Die Aufeinanderfolge von Zellen, durch welche die Archiv-DNS reist, bezeichnet man als Keimbahn. Die Keimbahn ist jener Satz von Zellen innerhalb eines Körpers, der von Spermien und Eiern und somit von zukünftigen Generationen ererbt wird. Die DNS wird aber auch seitwärts oder horizontal weitergegeben: an DNS in Nichtkeimbahn-Zellen, etwa in Leber- oder Hautzellen; innerhalb solcher Zellen an RNS, von dort an Protein und mehrere Effekte auf die Embryonalentwicklung und somit auf Gestalt und Verhalten erwachsener Individuen. Wir können uns horizontale und vertikale Transmission als etwas vorstellen, das den zwei Unterprogrammen namens ENTWICKLUNG und FORTPFLANZUNG in Kapitel 3 entspricht.
    Bei der natürlichen Auslese geht es um nichts anderes als um den unterschiedlichen Erfolg rivalisierender DNS bei der vertikalen Transmission in den Archiven der Art. »Rivalisierende DNS« bedeutet alternative Inhalte von speziellen Etiketten in den Chromosomen der Art. Einige Gene haben mehr Erfolg damit, in den Archiven zu bleiben, als konkurrierende Gene. Obwohl es letzten Endes die vertikale Weitergabe über die Archive der Art in die Zukunft ist, die den »Erfolg« ausmacht, ist das Kriterium für den Erfolg gewöhnlich die mittels einer Seitwörts-Ubertragung ausgeübte Aktion der Gene auf Körper. Auch dies funktioniert geradeso wie unser Computermodell der Biomorphe. Nehmen wir zum Beispiel an, Tiger hätten ein besonderes Gen, das mittels seines seitwärtigen Einflusses auf Kieferzellen dazu führt, daß die Zähne ein wenig schärfer sind als unter dem Einfluß eines rivalisierenden Gens. Ein Tiger mit extrascharfen Zähnen kann seine Beute effizienter töten als ein normaler Tiger; daher hat er mehr Nachkommen; daher gibt er vertikal mehr Kopien von dem Gen weiter, das scharfe Zähne erzeugt. Selbstverständlich gibt er zur gleichen Zeit alle seine anderen Gene weiter, aber nur das spezifische »Scharfe-Zähne-Gen« wird sich im Durchschnitt in den Körpern von scharfgezähnten Tigern wiederfinden. Das Gen selbst profitiert, in Form seiner vertikalen Weitergabe, von den durchschnittlichen Auswirkungen, die es auf eine ganze Reihe von Körpern hat.
    Die Leistung der DNS als archivierendes Medium ist spektakulär. Ihre Fähigkeit, Botschaften aufzubewahren, ist Steintafeln weit überlegen. Kühe und Erbsenpflanzen (und auch wir anderen alle) besitzen ein fast identisches Gen namens Histon-H4-Gen. Der DNS-Text ist 306 Zeichen lang. Wir können nicht behaupten, daß es in allen Arten dieselben Etiketten besitzt, da wir über die Artgrenzen hinweg die Ortsetiketten nicht sinnvoll vergleichen können. Wir können aber sagen, daß es bei Kühen

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