Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
natürlichen Auslese).
Die Methode, den Konservativismus der DNS zu messen, indem wir die Zahl der Veränderungen betrachten, die in geologischer Zeit tatsächlich stattgefunden haben, verbindet also echte Kopiertreue mit den Filtereffekten der natürlichen Auslese zu einem Ganzen. Wir sehen nur die Nachkommen der erfolgreichen DNS-Veränderungen. Die Nachkommen jener Veränderungen, die zum Tode führten, befinden sich offensichtlich nicht unter uns. Können wir nun die tatsächliche Kopiertreue schon im voraus messen, bevor die natürliche Auslese an jeder neuen Generation von Genen ansetzt? Wir können: es ist die Umkehrung von dem, was wir unter dem Namen Mutationsrate kennen, und das ist meßbar. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein spezieller Buchstabe bei einem Kopiervorgang falsch kopiert wird, liegt etwa bei eins zu einer Milliarde. Der Unterschied zwischen diesem Wert, der Mutationsrate und der viel niedrigeren Rate, mit der Veränderungen tatsächlich im Verlauf der Evolution in das Histon-Gen aufgenommen worden sind, ist ein Maß der Leistungsfähigkeit der natürlichen Auslese bei der Konservierung dieses alten Dokuments.
Die Konservierung des Histon-Gens über Äonen hinweg ist in genetischen Maßstäben eine Ausnahme. Andere Gene verändern sich mit höherer Geschwindigkeit, vermutlich weil die natürliche Auslese gegenüber Variationen in ihnen toleranter ist. Beispielsweise verändern sich Gene, die die als Fibrinopeptide bekannten Proteine kodieren, im Laufe der Evolution mit einer Geschwindigkeit, die sich stark der Grundmutationsrate nähert. Das bedeutet wahrscheinlich, daß Fehler in den Details dieser Proteine (sie werden beim Gerinnen von Blut produziert) für den Organismus nicht sonderlich wichtig sind. Hämoglobingene besitzen eine Änderungsrate zwischen der von Histonen und Fibrinopeptiden. Vermutlich ist die Toleranz der natürlichen Auslese gegenüber ihren Fehlern ein Zwischenwert. Hämoglobin erfüllt eine wichtige Aufgabe im Blut, und seine Einzelheiten sind tatsächlich wichtig, aber es scheint, daß mehrere alternative Varianten diese Aufgabe gleich gut erfüllen können.
Hier sind wir nun auf eine Frage gestoßen, die ein wenig paradox erscheint, solange wir nicht weiter darüber nachdenken: Die sich am langsamsten entwickelnden Moleküle wie Histone erweisen sich als diejenigen, die der natürlichen Auslese am stärksten unterliegen. Fibrinopeptide verändern sich durch Evolution am schnellsten, weil die natürliche Auslese sie fast völlig zu ignorieren scheint. Es steht ihnen frei, sich mit der Mutationsrate zu verändern. Das scheint paradox zu sein, weil wir so viel Gewicht auf die natürliche Auslese als Triebkraft der Evolution legen. Wir würden daher erwarten, daß es, wenn es keine natürliche Auslese gibt, auch keine Evolution gäbe. Umgekehrt könnte man es uns verzeihen, wenn wir erwarten, daß starker »Selektionsdruck« zu rascher Evolution führt. Statt dessen finden wir heraus, daß die natürliche Auslese die Evolution bremst. Die Grundrate der Evolution in Abwesenheit der natürlichen Auslese ist die maximal mögliche Rate. Sie ist synonym mit der Mutationsrate.
Das ist nicht wirklich paradox. Wenn wir sorgfältig darüber nachdenken, erkennen wir, daß es nicht anders sein kann. Evolution durch natürliche Auslese kann nicht schneller sein als die Mutationsrate, denn die Mutation ist letzten Endes die einzige Möglichkeit, wie neue Variationen in die Arten hineinkommen. Die natürliche Auslese kann nur eines, sie kann bestimmte neue Variationen akzeptieren und andere zurückweisen. Die Mutationsrate muß zwangsläufig der Rate, mit der die Evolution voranschreiten kann, eine obere Grenze setzen. In der Tat ist der Großteil der natürlichen Auslese darauf gerichtet, evolutionäre Veränderung zu verhindern, statt sie anzutreiben. Das bedeutet allerdings nicht - und ich beeile mich, das hinzuzufügen -, daß die natürliche Auslese ein rein destruktiver Vorgang ist. Sie kann auch konstruieren; auf welche Weise, werde ich in Kapitel 7 erklären.
Selbst die Mutationsrate ist ganz schön langsam - eine andere Ausdrucksweise für die Feststellung, daß selbst ohne natürliche Auslese die Leistung des DNS-Codes zur exakten Bewahrung seines Archivs sehr eindrucksvoll ist. Nach einer vorsichtigen Schätzung kopiert sich die DNS in Abwesenheit der natürlichen Auslese so exakt, daß fünf Millionen Replikationsgenerationen erforderlich sind, um ein Prozent der Zeichen
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