Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
Augen. Und sofort fühlte er sich geborgen – geborgen unter den gewaltigen Schwingen eines monströsen schwarzen Adlers. Dort würde er vielleicht eines Tages zerrieben werden, wenn er sich nicht vorsah, aber falls dies tatsächlich geschah, dann nicht, weil der Adler das so beabsichtigte, sondern weil er nicht anders konnte.
    Die Hausangestellten brachten immer noch mehr Speisen auf Silbertabletts herbei, doch einige davon trugen sie wieder zurück in die Küche, weil die Tafel keinen Platz mehr für sie bot.
    „Setzt euch, meine Teuren!“, rief der Baron, und manche, die längst saßen, klatschten sich auf die Schenkel und amüsierten sich über ihren eigenen Mangel an Feingefühl. Es wäre ihnen wohl nicht gerecht geworden, sie als ungehobelte Barbaren zu bezeichnen (denn im Gegensatz zu Barbaren wussten sie, was sich gehörte, entschieden sich jedoch dazu, nicht zu sehr daran zu kleben), aber Eugen ertappte sich dabei, wie er den meisten von ihnen in Gedanken einen Tierkopf auf die Schultern setzte. Das wurde ihnen gerecht. Ein Schwein schielte nach den Kohlrouladen, ein abgehärmter alter Wolf nach dem Turm aus Koteletts, und eine kleine, flinke Ratte hatte schon die langen Finger auf der Gabel, um das Mahl mit einem süßen Konfekt zu beginnen.
    Lorenz nahm Platz. Die Anspannung war seinem Gesicht anzumerken – er war kein Mann für große Gesellschaften. Seine Söhne setzten sich zu seiner Linken, und rechts von ihm blieb ein Stuhl frei.
    „Geht es der Baronin nicht gut?“, erkundigte sich einer der Gäste mit einem Blick auf eben diesen Stuhl.
    „Ja, ich habe sie heute überhaupt noch nicht gesehen“, log ein anderer, der krampfhaft zur Seite geschaut hatte, als die junge Frau ihm in unfrisiertem, nachlässig gekleidetem Zustand begegnet war.
    „Sie wurde aufgehalten“, antwortete der Gastgeber knapp.
    Wolfgang senkte den Kopf und starrte in seinen Teller, beinahe, als schäme er sich für etwas, doch als Eugen sich setzte, sah er, dass die Lippen des ältesten Sohnes grinsten.
    In Eugen stieg eine leichte Übelkeit auf. Nervosität vielleicht. Die vielen Männer, die er noch kaum kennen gelernt hatte und nicht wirklich kennen lernen wollte. Die Blicke der Frauen, ein wenig neckisch, aber gleichzeitig offen heraus interessiert, denn er war einer der jüngsten und möglicherweise der hübscheste unter den anwesenden Männern, auch wenn es nicht an ihm war, letzteres zu entscheiden. Und da war etwas anderes, was ihn verwirrte.
    Katharina.
    Sie kam, eine Viertelstunde, nachdem das Bankett eröffnet worden war, in einem erfrischenden gelben Kleid, mit einer goldenen Kette und einer wunderschönen offenen Frisur, die ihre Haare zum Strahlen brachte, der man jedoch auch die Eile ansah, mit der sie bereitet worden war. Die Gäste begrüßten sie mit der Anrede „Baronin“, und als die Reihe an Eugen kam, brachte auch er es nicht mehr über sich, sie mit dem Vornamen anzureden.
    Es war ein … Missverständnis gewesen. Die junge, betörende Frau, die er zunächst erschreckt, dann verstimmt und schließlich versöhnt hatte, war nicht die Tochter, nicht die Nichte, nicht eine Kusine des Barons. Sie war seine Gattin.
    Eugen betrachtete das garnierte Hühnerbein und das Gemüse auf seinem Teller und wunderte sich, wohin der Appetit verschwunden war, der seine Hand eben noch zu den Platten gelenkt hatte. Nun war vieles leichter zu verstehen. Warum Katharina so erzürnt gewesen war, als er sie für ein Dienstmädchen hielt. Warum Lorenz so heftig reagiert hatte, als er nach „Katharina“ fragte, nicht nach der „Baronin“, der „Dame des Hauses“ oder der „werten Frau Gemahlin“. Eugen hatte sich, ohne es zu wissen, auf eine ganz und gar ungehörige Weise mit seiner Gastgeberin angefreundet, hinter dem Rücken des Mannes, der von nun an sein Gönner und Geldgeber werden sollte.
    Hinter dem Rücken eines Mannes, mit dem gewiss nicht zu spaßen war.
    Dem er vertraute und dessen Vertrauen er nun selbst gebrochen hatte.
    Eugen sehnte sich nach der frischen Luft, aber er wagte es nicht, die Tafel zu verlassen. Lorenz würde denken, er habe etwas getan, was ihm ein schlechtes Gewissen machte. Er durfte nicht die Flucht ergreifen, musste tapfer unter den Leuten bleiben und kitten, was noch zu kitten war.
    Eine Sache blieb ihm ein Rätsel und beschäftigte ihn.
    Dass Katharina nicht die Mutter von Wolfgang und Roland sein konnte, stand fest. Selbst für den Fall, dass sie viel jünger aussah, als sie in

Weitere Kostenlose Bücher