Der Blutkelch
lindern.«
»Was ist das?«, fragte Eadulf misstrauisch, als ihm ein kleiner Becher unter die Nase gehalten wurde. Der Geruch war stechend.
Bruder Seachlann runzelte die Stirn, verzog aber sogleich die Miene zu einem Grinsen. »Stimmt ja, du hast in Tuaim Brecain gelernt. Es ist
deoch suain
, ein Schlaftrunk aus einem Aufguss von Baldrian mit wilder Minze und Rosmarin.«
Eadulf erlaubte dem Arzt, ihm den Becher an die Lippen zu halten. Er kannte die Mixtur, sie wurde gegen heftige Kopfschmerzen verordnet.
Beim Sich-Zurücklegen bemerkte er den Verband auf der Stirn. Unsicher fühlte er mit der Hand danach, während sich Bruder Seachlann von der Bettkante erhob.
»Was ist passiert?«
»Ich habe eine Paste aus Beinwell gemacht und über die Abschürfung auf der Stirn gestrichen, sie wird abheilen in ein paar Tagen.«
»Ich meine, wie ist das passiert? Wie bin ich hierhergelangt?«
»Ich habe dich hergeschafft.«
In dem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Fidelma stürzte mit kreidebleichem, ängstlichem Gesicht herein. Sie erblickte Eadulf auf der Bettstatt und eilte zu ihm. »Eben erst habe ich davon erfahren. Was ist mit dir? Wie fühlst du dich?«, fragte sie voller Sorge.
Eadulf brachte ein verzerrtes Grinsen zustande.
»Non omnis mortar«
, scherzte er. »Sterben werde ich nicht gleich.«
»Was ist dir zugestoßen?«
»Genau danach habe ich eben Bruder Seachlann gefragt. Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Fidelma sah den Arzt an. Der stellte erst einmal den Becher ab, den er in der Hand hielt. »Viel berichten kann ich dir nicht. Ich kam an dem Gebäude vorbei, das noch im Bau ist. Das war gestern spät am Abend. Ich hörte ein Stöhnen und ging hin, konnte aber trotz meiner Laterne nicht viel sehen. Wäre fast über Bruder Eadulf gefallen, der inmitten der Trümmer lag. War wohl gestolpert und hatte sich dabei die Stirn aufgeschlagen, denn sie blutete. Egal, wogegen er gerannt war, jedenfalls war er bewusstlos. Ich vergewisserte mich, ob er sich was gebrochen hatte, hob ihn auf, trug ihn hierher, habe ihn aufs Bett gelegt und verbunden. Sowie es hell wurde, habe ich Bruder Máel Eoin benachrichtigt, damit er dir Bescheid gibt.«
Fidelma schaute wieder Eadulf an. Er hatte die Augen halb geschlossen, doch sein Atem ging regelmäßig. Der Arzt bemerkte ihren verärgerten Gesichtsausdruck und versicherte ihr: »Der Aufguss, den ich ihm gegeben habe, wirkt. Er braucht jetzt einfach Schlaf, und wenn er aufwacht, werden die Kopfschmerzen weg sein.«
»Warum hast du mich nicht früher rufen lassen? Der Herbergswart hat mich eben erst geweckt. Und dabei sagst du, Eadulf liegt hier schon die ganze Nacht?«
»Ich durfte ihn mitten in der Nacht nicht allein lassen, sein Zustand konnte sich verschlechtern«, entgegnete der Heilkundige. »Bei ihm zu bleiben war das Vernünftigste. Er ist gerade erst wieder zu sich gekommen. Hätte doch keinen Zweck gehabt, irgendwen mitten in der Nacht hochzujagen. Es reicht, wenn nur einem der Schlaf geraubt wird.«
Das leuchtete Fidelma ein. Nur, dass sie Eadulf nicht sofort befragen konnte, versetzte sie in Unruhe. Es war nichtseine Art, nachts umherzuwandern, ohne ihr etwas zu sagen, und Unfälle stießen ihm wirklich selten zu.
Gormán erschien in der Tür und blickte suchend in den Raum. »Ich habe gehört …« Er erspähte Eadulf. »Ist er …?«
Fidelma antwortete ihrem Leibwächter nicht, sondern wandte sich an den Arzt: »Bist du sicher, dass er jetzt außer Gefahr ist?«
Bruder Seachlann zuckte die Achseln. »Vor dem Arzt, der sagt, dass er einer Sache sicher ist, sollte man sich hüten. Auf jeden Fall braucht Bruder Eadulf jetzt eine Weile Ruhe. Wenn er aufwacht, wird er sich, abgesehen von der Abschürfung und der Platzwunde auf der Stirn, wieder quicklebendig fühlen. Den Verband muss er noch ein paar Tage drauf lassen.«
»Gormán könnte bei Eadulf bleiben. Würdest du mir inzwischen die Stelle zeigen, wo du ihn gefunden hast?«
Die Aufforderung überraschte Bruder Seachlann. »Wes halb denn das?«
»Zu meiner eigenen Zufriedenheit«, entgegnete Fidelma unerschütterlich.
Sie ließen Gormán und Eadulf im
broinbherg,
dem Haus der Sorge, wie die Hospitäler im ganzen Land genannt wurden. Bei der Baustelle waren zwei Maurer am Werk, die neugierig aufblickten. Der Arzt blieb stehen und zeigte auf eine Stelle, wo die Seitenpfeiler einer Türöffnung bereits standen, nur fehlte noch der Türsturz. Er lag auf dem Boden neben der Öffnung und sollte
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