Der Blutkelch
über dem Gesetz und über deinen Entscheidungen als Abt. Daher wollen wir es bei einer Ermahnung belassen,die Gesetze des Landes zukünftig zu achten. Ich wäre dem
rechtaire
dankbar, wenn er Bruder Eadulf und mich jetzt über den Innenhof zum Gästehaus begleiten wollte.«
Widerstrebend setzte sich Bruder Lugna in Bewegung, runzelte jedoch die Stirn und fragte: »Warum?«
»Weil eine
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dich dazu aufgefordert hat.«
Sie verließen den Abt, der ihnen erschrocken nachschaute.
Der zunehmende Mond schien hell, sodass sie beim Gang über den Hof keine Laterne brauchten.
»Abt Iarnla ist ein liebenswerter alter Herr«, begann Fidelma, als sie bei dem Springbrunnen im Hof angekommen waren. »Ich möchte nicht, dass die Ermordung von Bruder Donnchad ihm unnötig viele Ungelegenheiten bereitet. Wir sollten ihn nicht zu sehr behelligen. Ich gehe davon aus, du wirst mir fortan behilflich sein, zumal mein Rang und meine Vollmacht nun geklärt sind.«
Bruder Lugna holte tief Luft und atmete sie hörbar aus. Er schien sich zu fügen.
»Je schneller wir die Angelegenheit hinter uns gebracht haben, desto besser«, erwiderte er.
»Dann möchte ich dir einige Fragen stellen. Wie hat es sich ergeben, dass du Glassán als deinen Baumeister gewählt hast?«
Jede andere Frage hätte Bruder Lugna erwartet, aber nicht diese. Für einen Moment zog er die Schultern zusammen; er stand mit dem Rücken zum Mond, und so konnten sie in dem Schattenspiel seine Gesichtszüge nicht erkennen.
»Er war Baumeister in dem Land, aus dem ich stamme, in Connachta«, entgegnete er mit fester Stimme.
»So? Ich dachte, er kommt aus dem Königreich Laighin?«
Peinliches Schweigen.
»Was willst du eigentlich, Fidelma von Cashel?«, fragteBruder Lugna nun schneidend. Zum ersten Mal hatte er in seiner Anrede ihren Rang anerkannt.
»Ich?« Fidelma tat verwundert. »Ich will nichts weiter als den Auftrag erfüllen, den mir mein Bruder, der König, erteilt hat.«
»Daran will ich dich nicht hindern«, brummte Bruder Lugna.
»Doch du wirst mir hoffentlich auch dabei helfen und anderen raten, es ebenfalls zu tun.«
»Wie ich bereits gesagt habe – je schneller wir die Angelegenheit hinter uns bringen, desto besser«, bestätigte der Verwalter.
»Somit hätten wir eine Übereinkunft.« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Vor etlichen Jahrhunderten und in einem anderen Land lebte ein Gelehrter, der festgefügte Ansichten vertrat und es nicht litt, dass jemand eine andere Meinung hatte. Als sein Oberherr ihm widersprach, versuchte er den Vorgesetzten zu stürzen und dessen Stellung einzunehmen. Nur hatte der Oberherr für die große Mehrheit des Volkes gesprochen. Am Ende wurde der Unduldsame selber gestürzt. Seine Ansichten wurden verworfen, weil sie nicht mit dem übereinstimmten, was sonst jedermann für richtig hielt. Man nannte sie ketzerisch, und die Anhänger des Aufrührers wurden bestraft, weil sie versucht hatten, anderen ihre Ansichten aufzuzwingen.«
Man mochte den Eindruck haben, Bruder Lugna beobachtete sie im Zwielicht wie ein Jäger, der seine Beute umschleicht. Eadulf spürte die Bösartigkeit des Mannes, und ein eiskalter Schauder lief ihm über den Rücken.
»Ich gebe zu, einen Fehler gemacht zu haben, indem ich deine Nachforschungen behindert habe, Fidelma von Cashel«, räumte der Verwalter zähneknirschend ein. »Dusollst meine Unterstützung haben«, versicherte er. »Es kann viele Pfade zum Glauben geben, und jeder Pfad kann zu Recht bestehen.«
»Genau darum geht es«, stimmte ihm Fidelma nachdrücklich zu. »Solange wir gegeneinander duldsam sind und jene, die ihrem eigenen Pfad folgen, uns nicht ihre Meinung als die allein gültige aufzwingen, wo es eine solche Meinung nicht geben kann.«
»Gibt es sonst noch etwas?«, fragte Bruder Lugna lustlos. »Wir haben uns also verständigt?«
»Ja.« Damit drehte sich der Verwalter um und ließ sie auf dem Hof stehen.
»Ich traue ihm nicht«, brummte Eadulf, während sie auf das Gästehaus zugingen. »Wenn er sagt, je früher die Ermittlungen abgeschlossen sind, meint er damit, je früher wir die Abtei verlassen, desto besser für ihn.«
»Immerhin sind wir heute ein kleines Stück vorangekommen«, sagte Fidelma. An der Tür zu ihrer Schlafkammer wünschte sie Eadulf eine gute Nacht.
Eadulf konnte nicht einschlafen. Vieles ging ihm im Kopf herum, und an Schlaf war nicht zu denken. Seine Gedanken kreisten um die Ereignisse der letzten Wochen, um die
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