Der Blutkelch
hatte man die Arbeiten an dem Neubau wieder aufgenommen. Lärm erfüllte den Hof. Hämmer schlugen auf Stein, Sägen kreischten, und die Männer verständigten sich mit lauten Rufen. Auch im Innern des
scriptorium
war der Lärm zu vernehmen, und Bruder Donnán rang verzweifelt die Hände. Er kam zur Tür geeilt, kaum dass sie sich öffnete, war aber enttäuscht, Fidelma vor sich zu sehen.
»Ich habe Bruder Lugna erwartet, wollte ihn bitten, den Bauleuten wenigstens für eine Weile Einhalt zu gebieten. Meine Schreiber und die Gelehrten können sich nicht konzentrieren. Ich habe sie alle fortschicken müssen.«
Fidelma schaute sich in dem leeren Bibliotheksraum um. »Das sieht man, Bruder Donnán.«
Er war den Tränen nahe. »Es ist zum Verzweifeln. BruderLugna hat verfügt, kein Band oder Manuskript darf aus der Bibliothek entfernt werden, so kann ich meinen Schreibern nicht einmal vorschlagen, ihre Arbeit woanders zu tun.«
»Dich hier allein vorzufinden kommt mir allerdings gelegen«, erklärte ihm Fidelma frohgemut. »Ich möchte dich noch einiges fragen.«
»Es ist aber doch alles in Ordnung, oder?«, fragte der
scriptor
plötzlich besorgt. »Bruder Máel Eoin schaute vorbei und hat mir das von Bruder Eadulfs Unfall erzählt. Er hat sich hoffentlich nicht ernsthaft etwas getan?«
»Er muss jetzt einen Tag ruhen, zumindest hat er sich nichts gebrochen. Eine Platzwunde und Abschürfungen hat er und heftige Kopfschmerzen, aber das reicht ja auch.«
»Gott sei Dank hat es ihn nicht schlimmer erwischt. Es wird für uns alle gut sein, wenn sie mit den Bauarbeiten endlich fertig sind. Überall lauern Gefahren. Doch du wolltest mich sprechen.« Er wies auf einen Stuhl und nahm ihr gegenüber auf einem anderen Platz.
»Gefahren?«, fragte Fidelma und setzte sich. »Wieso Gefahren?«
»In den letzten Wochen hat es mehrere Unfälle auf dem Bau gegeben. Ich habe mit angehört, wie Bruder Lugna Glassán in ziemlich scharfem Ton gesagt hat, er solle dafür Sorge tragen, dass niemand aus der Bruderschaft zu Schaden kommt.«
Fidelma überlegte. »Was für Unfälle waren das?«
»Abstürzende Balken. Bauholz, das nicht gesichert war. Ach, und ein Steinbrocken ist aus einer Mauer gefallen und hätte beinahe Glassán selbst getroffen. Er war sehr wütend.«
»Verletzt wurde er dabei nicht, oder?«
»Nein, aber der Stein hat ihn nur um Haaresbreite verfehlt.«
»Wie viele solcher Unfälle hat es gegeben?«
Bruder Donnán überlegte. »Vier, soweit ich mich erinnere, in den letzten Wochen. Fünf, wenn man Bruder Eadulfs Unfall dazu rechnet.«
Fidelma zog die Augenbrauen hoch. »Fünf? Sind auch noch andere verletzt worden?«
»Zwei Arbeiter. Abschürfungen am Arm und Schnittwunden. Weiter nichts.«
»Ist jemand dafür verantwortlich gemacht worden?«
Bruder Donnán war überrascht. »Verantwortlich gemacht?«
»Ich meine, sind Arbeiter gerügt worden, weil sie nachlässig waren?«
»Keiner. Glassán hat alles auf mangelhafte Fertigkeiten der Handwerker geschoben. O doch, da fällt mir ein, einen seiner Leute hat er mit einer Strafe belegt wegen eines groben Fehlers.«
»Deine Auskünfte sind hilfreich, Bruder Donnán. Aber eigentlich wollte ich nicht deswegen mit dir sprechen.«
»Ich stehe dir wie immer zu Diensten.«
»Ich weiß, alte Freunde, die wir sind.«
Der
scriptor
fühlte sich geschmeichelt. »Das waren schwierige Fälle damals. Die Zeugen mussten nacheinander verhört werden. Erinnerst du dich noch an den Fall von Suanachs Sohn Archú und Muadnat vom Schwarzen Moor? Das war eine vertrackte Geschichte. Ich habe gestaunt, wie du das ganze Drum und Dran enträtselt hast.«
»Ich hätte nicht einmal die Hälfte herausgefunden, hätte ich nicht zuverlässige Helfer gehabt.« Fidelma beugte sich vertraulich vor. »Deshalb wende ich mich jetzt an dich und bitte um deine Hilfe. Ich brauche Informationen.«
»Wenn ich über sie verfüge, sollst du sie haben.«
»Seit wann ist Bruder Seachlann in der Abtei?«
»Bruder Seachlann? Der Arzt? Vor ungefähr einem Monat ist der gekommen.«
»Erst vor einem Monat?«
Bruder Donnán nickte.
»Weißt du mehr über ihn?«
»Ich weiß nur, dass er in Sléibhte studiert hat.«
»Hast du eine Ahnung, weshalb er gerade in diese Abtei gekommen ist? Gibt es da irgendwelche Vermutungen?«
Bruder Donnán schüttelte langsam den Kopf.
»Darüber habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Die Abtei gewinnt langsam einen Ruf als Stätte der Gelehrsamkeit. Vielleicht
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