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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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waren gehalten, ihren Zöglingen alles beizubringen, was sie als Erwachsene benötigten. Entweder wurde die Ziehelternschaft aus Zuneigung übernommen oder gegen eine Entlohnung, die vom Gesetz genau festgelegt war und sich danach richtete, aus welcher Gesellschaftsschicht das Kind stammte und welcher Rang ihm zukam.
    Vom Gesetz her gab es zwei Formen der Ziehelternschaft. In dem einen Fall wurde keinerlei Zahlung geleistet, nämlich dann, wenn die Pflegschaft zwischen Verwandten oder zwischen verwandten Familien oder Adelsgeschlechtern vereinbart wurde. Im anderen Fall wurde ein festgelegter Betrag entrichtet.
    »Er scheint ein aufgeweckter Junge zu sein. Bist du verwandt mit ihm?«
    »Nein, ich werde für die Pflegschaft bezahlt«, erwiderte Glassán knapp. »Jetzt muss ich mich aber entschuldigen.«
    Fidelma nickte und ging zurück zu Bruder Seachlanns kleinem Hospital. Gormán saß noch immer wachsam bei Eadulf, während der Apotheker in einer Ecke eine Mixtur mischte.
    »Vor dem Mittagessen wird er nicht aufwachen«, erklärte ihr der Arzt sofort. »Lass ihn hier ungestört ruhen. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um ihn. Wenn er ausgeschlafen hat, kann er heute Abend wieder zurück in sein
cubiculum
, seine Zelle.«
    Fidelma winkte Gormán zu sich und verließ mit ihm den Krankenraum.
    »Hast du herausbekommen, was sich zugetragen hat?«, fragte sie der Krieger.
    »Nur, dass ihn etwas vergangene Nacht zur Baustelle getrieben hat, er hingeschlagen ist, mit dem Kopf an einen Pfosten prallte und bewusstlos wurde.«
    Als sie den Innenhof überquerten, kam ihnen Abt Iarnla entgegengeeilt.
    »Soeben habe ich von Bruder Eadulfs Unfall erfahren. Schrecklich! Schrecklich!« Der Abt war erschüttert. »Wie geht es ihm?«
    »Euer Arzt versichert, dass er sich rasch erholen wird. Wenigstens hat er sich nichts gebrochen.«
    » Deo gratias
«, sagte der Abt. »Aber wie konnte das passieren? Man hat mir gesagt, er wäre mitten in der Nacht auf der Baustelle gewesen.«
    »Von wem hast du das?« Fidelma wusste, dass der Abt noch nicht mit dem Heilkundigen gesprochen hatte.
    »Bruder Lugna hat es mir erzählt, und ich glaube, er hat es von Bruder Máel Eoin gehört.«
    Noch ehe sie darauf etwas erwidern konnte, erschien Bruder Lugna selbst.
    »Die Nachricht von Bruder Eadulf geht mir nahe. Ich hoffe, er ist auf dem Wege der Besserung«, sagte er zur Begrüßung; eine ehrliche Anteilnahme ließ sein Tonfall jedoch vermissen.
    »Es geht ihm besser«, erwiderte der Abt, bevor sie etwas sagen konnte.
    »Gut zu hören«, äußerte sich Bruder Lugna. »Doch was hat er zu Nacht schlafender Zeit auf der Baustelle gesucht? Er hätte doch wissen müssen, wie gefährlich es ist, sich einem halbfertigen Bauwerk zu nähern, ohne sich genau auszukennen.«
    Abt Iarnla nickte zustimmend. »Genau das habe ich eben auch gefragt.«
    »Wir denken, Eadulf hat nach etwas gesucht und ist dabei gestürzt, mehr lässt sich gegenwärtig nicht sagen.«
    »Hat nach etwas gesucht?«, fragte Bruder Lugna verwundert. »In der Nacht? Auf der Baustelle?«
    »Er wird guten Grund gehabt haben, sich dort umzutun.« Sie fühlte sich gedrängt, Eadulf zu verteidigen. »Du musst es uns schon nachsehen, aber wir ermitteln in einem Mordfall.«
    »Trotzdem, begreifen kann ich nicht, was das mit dem Tod von Bruder Donnchad zu tun hat, nachts auf der Baustelle umherzutappen.« Bruder Lugnas Tadel war nicht zu überhören.
    »Nur Geduld. Die Zeit bringt alles ans Licht.« Fidelma lächelte.
    Bruder Lugna wollte etwas entgegnen, biss sich aber auf die Lippen und machte sich davon.
    Abt Iarnla schaute ihm besorgt nach.
    »Ich hoffe, du wirst bald zu einem Ergebnis kommen, Fidelma.«
    »Herbeizwingen lässt sich die Wahrheit nicht, Abt Iarnla«, antwortete Fidelma zurückhaltend. »Vieles bleibt noch zu tun, und längst sind nicht alle Fragen gestellt.«
    Der Abt stand unschlüssig da. »Du gibst mir doch Bescheid, sobald du etwas herausgefunden hast?«
    »Ich werde dich nicht im Dunkeln lassen«, versicherte sie ihm.
    Abt Iarnla ging hinüber zu den Hauptgebäuden der Abtei. Gormán holte tief Luft und sagte mitfühlend: »Den Abt bedrückt etwas.«
    »Den Eindruck habe ich auch. In dieser Abtei gibt es vieles, was einen bedrücken kann. Halt die Augen offen, Gormán. Es könnte durchaus hilfreich sein, mitzubekommen, was die Bauarbeiter so reden. Ich gehe jetzt ins
scriptorium
, will Bruder Donnán ein paar Fragen stellen.«
    Sie strebte der Bibliothek zu. Hinter ihr

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