Der Blutkönig: Roman (German Edition)
gegenseitig tot reden.«
Vahanian zuckte mit den Achseln. »Mir ist es lieber, ich höre die Argumente jetzt, wo noch Zeit ist, die Taktik zu ändern, als später, wenn die Truppen an der Front stehen.«
Mikhail nickte. »Jonmarc hat recht. Es ist viel besser, die eigene Strategie – und den Feind – zu kennen, bevor man in den Krieg zieht, als die Richtung zu ändern, wenn das Heer schon im Feld steht.«
An manchen Tagen schickte Staden Militärexperten seiner Armee, um schwierige Szenarien durchzusprechen. Die restliche Zeit trafen sich Vahanian und die anderen mit den Führern der Söldner, die Tris damit beauftragt hatte, den Krieg gegen Jared zu führen. Für heute Abend hatte Hant, der oberste Agent Stadens, versprochen, ihnen einen Führer der margolanischen Flüchtlinge vorzustellen, die die notdürftig errichteten Camps an Fahnlehens Grenze bevölkerten.
»Eine gute Nacht für einen Becher warmes Bier«, meinte Harrtuck, als er sie an der Tür traf. »Miserables Wetter da draußen.«
Vahanian sah Harrtuck skeptisch an. »Wir haben dich heute bei den Übungen vermisst.«
»Ja, nun. Ich bin vielleicht doch ein bisschen zu lang aufgeblieben letzte Nacht und hatte ein winziges Bier mehr, als ich jetzt noch weiß«, sagte Harrtuck und rieb sich den Nacken.
»Der Krieg hat noch nicht begonnen und du benimmst dich schon wie ein Söldner.«
Harrtuck kicherte. »Ich bin etwas aus der Übung. Ich hatte eben viel zu lange eine schöne bequeme Palastanstellung.«
Vahanian, Kiara und Harrtuck alberten mit Soterius und Mikhail herum, während sie im Zimmer warteten. Scherzhaft wetteten sie darauf, dass Soterius eine örtliche Sehenswürdigkeit erklimmen konnte. Dann öffnete sich die Tür und alle Scherze hörten auf, als Hant entschlossen den Raum betrat, gefolgt von einem Fremden mit einer Kapuze.
»Es ist widerlich draußen«, bemerkte Stadens Meisterspion und schüttelte sich den Schnee vom Mantel, bevor er ihn weglegte. Er wies auf den Mann neben sich. »Ich möchte Euch Sahila vorstellen.« Sein Gefährte, ein dünner Mann, wirkte in seinem dunklen Umhang wie ein Geist. Die Kapuze fiel zurück und enthüllte Sahilas narbenentstelltes Gesicht.
»Du!« Ein überraschter Ausruf kam sowohl von Sahila als auch von Vahanian.
»Uns wurde gesagt, dass du tot seist«, sagte Sahila zu Vahanian in der gutturalen Sprache der Ostmark.
»Beinahe richtig«, antwortete Vahanian in starkem märkischem Dialekt.
»Wie kommst du hierher?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
Kiara räusperte sich. »Auch wenn Hant und ich dem folgen können, vielleicht sprecht ihr doch besser in Hochsprache, damit alle euch verstehen können«, meinte sie demonstrativ in perfektem Märkisch. Vahanian starrte Kiara an. Es war das erste Mal, dass er sie die ostmärkische Sprache hatte sprechen hören. Sie sprach sie fließend und ohne Akzent.
»Das ist wahrlich ein Rätsel«, meinte Sahila. »Hier ist eine adlige Kriegerin in Fahnlehen, die spricht und aussieht wie eine Tochter der Ostmark.«
Kiara erwiderte seinen Blick freimütig. »Ich bin Kiara Sharsequin von Isencroft. Tochter der verstorbenen Königin Viata, die eine Schwester Eures Königs war.«
Sahila verbeugte sich tief und machte eine Geste der Ehrerbietung. »Ich bitte tausend Mal um Vergebung, M’Lady. Bei uns ist die Schönheit von Prinzessin Viata oder die Tragödie ihres Verlustes nicht vergessen. Möget Ihr lange leben, M’Lady, und möget Ihr ihr in Schönheit wie in Tugenden gleichkommen.«
Kiara neigte den Kopf und nahm damit die guten Wünsche an, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Vahanian. »Ihr zwei kennt euch?«
Sahila sprach zuerst. »Er hat mir vor zehn Jahren das Leben gerettet, und das unter Einsatz seines Lebens.« Vahanian wand sich unbehaglich, als alle außer Harrtuck sich vorbeugten, um die ihnen unbekannte Geschichte zu hören. Harrtuck wechselte Blicke mit ihm und Vahanian holte tief Luft. Dann zuckte er die Achseln.
»Ich wurde in der Ostmark geboren«, meinte Sahila und wandte sich erst an Hant, dann an die anderen. »Ich hoffte, ein ruhiges Leben als Bauer führen zu können, in einem Dorf namens Chauvrenne. Doch eine schlechte Ernte ließ mir nichts, um die Steuern bezahlen zu können. Das erste Mal, dass ich Jonmarc Vahanian sah, brachte er eine Truppe Ostmark-Soldaten in unser Dorf und verlangte die Steuern für den König.
Wir hatten nichts zu geben und er ging wieder fort. Aber in diesen Tagen lastete ein Schatten über
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