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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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deshalb hielten sie ein paar Schritte lang den Mund.
    Doch dann erkundigte Animaya sich plötzlich: »Du weißt doch, wo sie wohnt?«
    Â»Imelda? Nicht genau, im Armenviertel eben.«
    Â»Lass uns nach ihr suchen. Ich will sie fragen, warum sie vorhin so hysterisch geworden ist. Und ob sie etwas mit dem Fisch zu tun hat.«
    Pillpa lächelte gequält. »Fragen kannst du, aber ob du Antworten bekommst …«
    Animaya sah zum Himmel. »Nicken kann sie ja noch, oder?«
    Hinter dem Stadttor bogen sie nach links ab und durchquerten die Oberstadt.
    Die Kaste der Adeligen musste sich nicht mit acht oder zwölf Personen ein Haus teilen, so viel war klar. Die Hochgeborenen bekamen auch andere Speisen zugeteilt, wie der Duft bewies, der aus den offenen Türen strömte.
    Gebackenes Erdferkel mit heißen Tomaten! Animaya lief das Wasser im Mund zusammen, obwohl – oder gerade weil – sie noch nie etwas anderes gekostet hatte als Mais und Kartoffeln.
    Fleisch und die roten Früchte der empfindlichen Staudenpflanzen sind für die Angehörigen der höchsten Kaste vorgesehen. Sie leisten viel Kopfarbeit und benötigen die Extrarationen am nötigsten.
    Â»Ab morgen können auch wir reinhauen«, wisperte Pillpa. »Unabhängig davon, ob die Maiskarawane sich verspätet oder pünktlich ist. Der Inka wird für uns sorgen wie für sich selbst.Sag mal, was hast du eigentlich mit dem Fisch gemacht?«
    Â»Ins Wasser zurückgeschmissen. Die Tiere des Flusses sollen nur den Adeligen als Speise dienen. Wer aus einer niederen Kaste stammt und die Wassertiere jagt, gefährdet die Gesundheit des Volkes. Ihm soll für einen Monat der Mais entzogen werden.«
    Pillpa rollte die Augen. »Mensch, Ani! Manchmal habe ich den Eindruck, du denkst nur an die Gesetze und vergisst währenddessen zu leben.«
    Sie beobachteten, wie Arbeiter auf ihren geschundenen Rücken prall gefüllte Maissäcke in die Paläste der Reichen schleppten.
    Animaya verbot sich, neidisch zu sein. Allerdings fragte sie sich, wieso hier die Nahrungsmittel so üppig flossen. Die Mais karawane wurde doch schon seit mehr als zehn Tagen erwartet, was jedoch nichts Ungewöhnliches war. Schließlich musste sie jedes Mal einen anderen Weg nehmen, um nicht den Feinden in die Arme zu laufen. Oft brauchte sie für die Strecke von drei Tagen Fußmarsch die zehnfache Zeit.
    In der Unterstadt jedenfalls waren die Lebensmittel noch strenger als sonst rationiert worden. Animaya schluckte die aufsteigenden Fragen herunter. Zum Glück musste sie sich über so etwas nicht den Kopf zerbrechen, das tat Tupac für das ganze Volk. Und am Haremsfest hatte es noch immer einen Festschmaus für alle gegeben.
    Sie überquerten einen terrassenförmig angelegten Platz. Die Quellen, die in unzählige Becken ihr klares Wasser pumpten, kühlten die schwüle Luft merklich ab.
    Paititi war in vier unterschiedlich große Stadtviertel aufgeteilt. Die Unterstadt beherbergte zweitausendfünfhundert Einwohner der mittleren Kaste und ihre Werkstätten, außerdem das Gehege der Göttertiere, den Tempel und das Haus der Gesetze. Die Fläche der Oberstadt war ähnlich groß und musste für einhundert Adelige ausreichen. Dazwischen lag ein Streifen mit den Kasernen der zweitausend Krieger und Wach posten sowie dem Friedhof der Generäle.
    Hinter die Oberstadt war das Armenviertel gequetscht, mit den Elendsquartieren für die vierhundert Angehörigen der niedersten Kaste: für Nichtsnutze, Faule, Arbeitsscheue und Irre. Es bedurfte einiger Wachen und vieler Strafen, sie täglich an die Einhaltung der Gesetze zu erinnern. Wer zu viele Laute von sich gab, musste vor allen das Schweigegelübde ablegen.
    Der Palast des Inka hatte ursprünglich in der Oberstadt gelegen, aber beim achtundzwanzigsten Konzil war die Kaste der Adeligen von Tupac auf einhundert Mitglieder begrenzt worden, um das Volk im Gleichgewicht zu halten. Viele hatten freiwillig ihre Rangabzeichen niedergelegt und waren als einfache Bauern zu den äußeren Feldern umgesiedelt. Ihre Aufopferung zum Nutzen der Volksgemeinschaft war eine Heldentat, die von den Lehrern jeden Tag am Anfang des Unterrichts als vorbildliches Verhalten gepriesen wurde.
    Die Häuser der ehemaligen Adeligen waren geräumt und einer Vielzahl von einfachen Leuten zur Verfügung gestellt worden. So war die Unterstadt um

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