Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
Vom Netzwerk:
stoppte nicht. Geisterten die Albinas jetzt etwa auch schon am Tag umher?
    Erst nach einer Weile fiel Animaya auf, dass die Schritte nicht lauter, sondern leiser wurden – sich von ihr weg beweg ten. Diese Erkenntnis jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Wer auch immer das gewesen sein mochte, er hatte die ganze Zeit in ihrer unmittelbaren Nähe gestanden. Hatte ihr treuloses Lied gehört.
    Animaya schob die dichten Pflanzen neben sich mit dem Ast auseinander. Vier Schritte von dem flachen Stein entfernt fand sie eine Botschaft, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Auf einem großen Blatt lag ein der Länge nach aufgeschlitzter Fisch. Seine Augen waren ausgestochen.
    Es war eindeutig eine Warnung wegzusehen.

FESTVORBEREITUNGEN
    Vom Wald aus bot die Stadtmauer Paititis einen atemberau benden Anblick. Riesige Monolithen waren begradigt und pass genau aufeinandergetürmt worden. Kein Käferbein fand in den Fugen zwischen den Steinen Platz, kein Vogel auf der glatten Oberfläche einen Halt.
    Woher die Felsen stammten, war unbekannt, einen Steinbruch gab es im weiten Umkreis nicht. Wer sie gebrochen und hierhergeschleift hatte, war nicht überliefert. Ebenso gab die Frage nach den Werkzeugen, mit denen solch ein Wunder vollbracht werden konnte, Rätsel auf.
    Nur eines war allen ersichtlich: Die Mauer hatte etwas Magisches, denn während man auf sie zuschritt, schien sie noch weiter in den Himmel zu wachsen. Das wuchernde Grün verlieh ihr eine stille Würde und Erhabenheit, die einen Betrachter vor Glück weinen lassen konnte. Kein Zweifel, dies war das Werk eines Gottes!
    Gerade bedeutete sie für Animaya allerdings vor allem eines: Sicherheit. Ohne auf die Zweige zu achten, die ihr ins Gesicht peitschten, hastete sie auf die Stadtmauer zu. Innerhalb des steinernen Zirkels lag die schützende Hand des Inka über jedem Einwohner des flüsternden Volkes. Je weiter man sich fortbewegte, desto weniger konnte Tupac für die Unversehrtheit des Einzelnen garantieren. Das wusste jeder.
    Animaya schoss das Bild der gefangenen Albina durch den Kopf. Nun ein Fisch ohne Augen. Bereits als sie die Lagune erreicht hatte, beruhigte sich ihr Herzschlag ein wenig. Gegen Angriffe von außen konnte der Inka die Bewohner schützen. Was aber, wenn die Bedrohung von jemandem aus dem eigenen Volk ausging?
    Pillpa hatte auf Animaya gewartet und stürmte jetzt zu ihr. Tausendmal entschuldigte sie sich für ihre dumme Bemerkung über Imelda. Der Streit tat ihr unendlich leid.
    Â»Die Generäle werden sie schon wieder zur Vernunft bringen«, flüsterte sie.
    Animaya hatte da so ihre Zweifel, behielt sie aber für sich. In düstere Gedanken versunken, lief sie weiter, Pillpa dicht neben sich. Dabei achtete sie darauf, kein Blatt mehr als nötig zu knicken. Bloß keine Spuren zu hinterlassen, die nach Paititi führten.
    Nur Animaya hatte das Entsetzen in den Zügen der Frau bemerkt. Die Erinnerung jagte ihr jetzt noch Schauer über den Rücken.
    Â»Jemand hat mir einen toten Fisch geschenkt«, brach Animaya ihr Schweigen. »Eben im Wald.«
    Pillpa war sichtbar geschockt. »Einen was?«
    Â»Einen toten Fisch mit ausgestochenen Augen. Eine Warnung, wenn du mich fragst. An mich oder vielleicht auch an uns beide. Was wir heute Morgen gesehen haben, sollen wir für uns behalten.«
    Â»Glaub ich nicht! Es konnte doch niemand wissen, dass du dich genau dort ins Gebüsch schlagen würdest. Noch nicht mal du selbst.«
    Â»Und doch lag dort der Fisch.«
    Â»Zufall!«
    Animaya schüttelte den Kopf. »Er war sauber ausgenommen und die Augen fehlten.« Der Wachmann, an dem sie jetzt vorbeigingen, stierte sie an. Animaya beschleunigte ihren Schritt und flüsterte noch leiser. »Ich habe Blicke gespürt, die ganze Zeit.«
    Pillpa grinste. »Ich auch, so wie eben. Wir sind nun einmal wunderschön.«
    Â»Nein, das meine ich nicht. Wenn ich mich umdrehte, war niemand da. Als hätte der Wald selbst Augen.«
    Â»Das bildest du dir ein.« Pillpa strich Animaya beruhigend über den Arm. »Du bist bloß aufgeregt, wie wir alle. Wegen Morgen …«
    Â»Und der Fisch? Habe ich mir den auch bloß eingebildet?«
    Pillpa seufzte. »Sei doch nicht gleich eingeschnappt.«
    Â»Bin ich nicht. Nur vorsichtig. Und durcheinander.«
    Die Torwachen zeigten großes Interesse für ihre hitzige Diskussion,

Weitere Kostenlose Bücher