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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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sich mit schuldig, schließlich war die Schweigende ihretwegen so aufgeregt gewesen.
    Â»Schnell, hol Wasser!«, bat sie Pillpa.
    Pillpa wollte protestieren, nahm dann aber doch eine Schüssel und lief nach draußen. Nach einer halben Ewigkeit kehrte sie mit einer braunen, übel riechenden Flüssigkeit darin zurück.
    Â»Was anderes spucken die Brunnen hier nicht aus«, entschuldigte sie sich. »Sie werden vom Knochenfluss gespeist. Und du weißt ja selbst, was da seit ein paar Wochen alles drin rumschwimmt.«
    Animaya fühlte Imelda den Puls, er war kaum zu spüren. »Träufle es ihr langsam übers Gesicht.«
    Â»Ich habe mich gerade erst gewaschen!«, entgegnete Pillpa pampig, gehorchte aber.
    Die Frau blinzelte, als die Tropfen auf ihre Haut trafen.
    Â»Jetzt alles.«
    Mit sichtlichem Unbehagen drehte Pillpa die Schüssel um. Die braune Brühe platschte der Frau ins Gesicht. Erschrocken richtete sie sich auf.
    Als sie Animaya vor sich sah, riss sie den Mund zu einem Schrei auf, aber Animaya presste ihr geistesgegenwärtig eine Hand auf die Lippen.
    Â»Still!«, herrschte sie die junge Frau an. »Oder willst du, dass die Krieger zurückkommen?«
    Imelda erinnerte sich wohl an die unsanfte Behandlung und berührte ihre Schläfe. Ihr Gesicht zuckte vor Schmerzen zusammen.
    Â»Wir sind nur hier, um dir eine Frage zu stellen«, kam Pillpa ihrer Freundin zu Hilfe. Sie reichte Imelda ein Stück Stoff, damit sie sich abtrocknen konnte.
    Langsam beruhigte sich die Frau. Als sie sich ihres schmutzigen Äußeren bewusst wurde, begann sie die strohigen langen Haare zu einem groben Zopf zu flechten. Ihre einstige Schönheit war unter der Maske der Verbitterung und Enttäuschung noch deutlich zu erkennen. Wie auch ihr Stolz.
    Imelda sah die beiden Mädchen erwartungsvoll an.
    Â»War das dein Fisch?«, fragte Animaya mit sanfter Stimme.
    Verwirrt schüttelte Imelda den Kopf. Dabei zeigte sie auf ihren Bauch und ahmte mit der anderen Hand einen zappelnden Fisch nach.
    Â»Auch wenn du den ganzen Knochenfluss leer gegessen hättest, würde mich das nicht interessieren«, sagte Animaya beschwichtigend. »Wir sind keine Spitzel. Jemand hat mir einen Fisch hingelegt, im Wald.«
    Imelda weitete erstaunt die Augen, griff sichtlich gerührt nach Animayas Händen und drückte sie fest. Sie gurgelte ein paar Wortfetzen hervor, die nicht zu verstehen waren. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie tat so, als ob sie ein Geschenk überreichen würde, dann tippte sie auf Animayas Herz.
    Pillpa stieß ihre Freundin feixend an. »Sie meint, der Fisch ist ein Geschenk von deinem Liebsten!«
    Zu Animayas Überraschung nickte die Frau.
    Ihr schoss das Blut in die Wangen. »Ich habe keinen Liebsten!«
    Pillpa grinste.
    Imelda sah Animaya tief in die Augen. Was die Frau ohne Worte sagte, verstand Animaya sofort: Jeder hat einen Liebsten, du hast deinen nur noch nicht kennengelernt!
    Voller Nachdruck tippte sie erneut auf Animayas Brust und hob dabei warnend eine Augenbraue. Hör auf dein Herz, aber sei vorsichtiger als ich.
    Dann legte sich Imelda erschöpft auf den Boden und dämmerte wieder weg.
    Â»Sie meint Tupac«, sagte Pillpa aufgeregt, als sie auf dem Rückweg waren. »Natürlich ist der Inka nicht selbst durch das Unterholz gelaufen und hat für dich gefischt …« Sie drehte sich um und vergewisserte sich, dass niemand ihre Worte belauscht hatte. »Es ist ein Symbol, verstehst du? Ein Zeichen unseres Herrschers, dass du morgen ausgewählt wirst.«
    Doch Animaya war mit ihren Gedanken ganz woanders. »Warum müssen die Armen in diesem Elend leben und die Reichen können kaum ihre Bäuche vor sich herschleppen? Verstehst du das?«
    Pillpa drückte Animaya einen Kuss auf die Wange. »So war es schon immer. Du kannst nicht die Welt verändern, Ani!«
    Animaya seufzte und antwortete leichthin: »Warum eigent lich nicht?« Erst als sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, was sie da eben geflüstert hatte. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. Hätte jemand sie gehört, hätte sie dafür mit dem Tode bezahlt!
    Â»Wir sollten den Vorfall schnell vergessen«, schlug Pillpa wohl auch deshalb vor. Je näher sie der Unterstadt kamen, desto kleiner wurden ihre Schritte.
    Die hat gut reden!, dachte Animaya. Ihr hatte der Fisch ja auch nicht

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